Donnerstag, 21. Mai 2009

Jakobsweg – 21.05.2008: Sarria => Portomarin

Wieder mal als einer der ersten aus dem Schlafsaal heraus, als es anging, laut zu werden – und wie immer brauchten die, die für den Lärm verantwortlich waren, viel viel länger als ich, um den Schlafsaal zu verlassen. In grummeliger Laune machte ich mir ein kleines Frühstück aus den mitgebrachten Vorräten und zog dann raus, wobei sich die Laune im Morgenlicht sofort aufhellte – die ersten Photos habe ich um 6.50 Uhr gemacht, entsprechend früh war ich also aufgeweckt worden.
Sarria früh morgens

Das wichtigste an Sarria ist, dass es etwas mehr als 100 Kilometer von Santiago entfernt ist und verkehrsgünstig gelegen – da man die „Compostela“, die Urkunde, die den Pilgergang nach Santiago de Compostela mit den üblichen Buseübungen und Gottesdiensten bescheinigt, nur bekommt, wenn man die letzten 100 Kilometer zu Fuß geht oder die letzten 200 mit dem Fahrrad (was, soweit ich weiß, dann auch für das Reiten auf Eseln gilt).
Entsprechend dieser Regelung gibt es also Unmengen von Pilgern, die die Urkunde bekommen wollen und in Sarria starten – im Pilgerausweis werden dann möglichst viele Stempel gesammelt um glaubhaft machen zu können, dass man wirklich gewandert ist. Und diese Pilger sind dann oft genug deutlich zu erkennen: ganz und gar nicht abgerissen, perfekt frisiert, perfekt ausgestattet mit allen Utensilien für eine längere Wanderung, soooo sauber, frisch gewaschen und nach Deo und Weichspüler riechend, treten sie in größeren Gruppen auf, trinken schon bei der ersten Rast das erste Bier oder das erste Glas Wein, sind froh gemut und eben echte Pilger (Jakobsmuscheln z:B. habe ich vorher bei nur wenigen gesehen, hier plötzlich bei fast jedem).
Dementsprechend voll waren die Wege dann auch – das Wandern hatte fast etwas von Autobahnverkehr, ständig wurde überholt, nur selten gab es ruhige Momente – und lustig war es, dass immer, wenn es regnete (und es regnete immer wieder mal, nicht wirklich zu stark, aber auch nicht wirklich wenig), wenn Wasser von oben kam, sich viele Menschen irgendwo unterstellten, während man andere einfach so vorbeiwandern sah – die, die lange unterwegs waren, waren eben abtgestumpft genug, um sich aus dem Wechsel von Nass und Trocken noch viel zu machen.
Ganz entgegen meiner Gewohnheit habe ich wohl kein Photo von jenem sagenhaften Kilometerstein gemacht, der die magische 100er Grenze kennzeichnet, oder aber ich versuchte es damals und habe zwischendurch gelöscht wegen Unschärfe oder so. Aber wer's unbedingt sehen will, wird bei Wikipedia fündig: https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Datei:Jakobsweg_100km_Stein.JPG&filetimestamp=20081222221808
Ansonsten gibt es noch ein berühmtes Bauwerk in der Nähe, eine alte Brücke, vielleicht römisch, vielleicht aus dem Mittelalter, ich weiß es nicht mehr und habe auch nicht ordentlich photographiert (zumindest was die Brückenbögen angeht, solche Brücken hatte ich bis dahin schon hunderte gesehen, irgendwann wurden sie dann langweilig). Immerhin gibt es ein Photo, das aus wandertechnischer Sicht entstand:
Ponte Aspera

Zwichendurch gab es dann noch einmal eine Stelle für ein paar Photospielchen – überall war es reichlich feucht und wenn das Wasser nicht als Regen von unten kam, so kam es doch aus jeder Ritze von unten oder als Quelle, Rinnsal oder Bach von allüberall, so dass es auch reichlich Reflektionen gab:
ein Pilger, diesmal moderner

Überhaut war es ein Tag, an dem ich mir sehr viel Zeit gelassen habe für meine Neugierde und meine Photos. Irgendwo entdeckte ich eine kleine Kapelle am Wegrand, die Tür war offen, also lag nichts näher, als hineinzuschauen. Diese winzige Kapelle machte zwar nicht mehr den aller gepflegtesten Eindruck, aber andererseits war sie doch sehr interessant: offensichtlich vor längerer Zeit entstanden und früher stärker genutzt (immerhin gab es einen uralten Taufstein am Rand), heute nur noch verwahrlost und von Pilgern als Ablegestelle für diverse Wünsche und Grüße gebraucht:
Kapelle

Ich verbrachte weit mehr als eine Viertel Stunde dort, während die meisten Wanderer einfach vorbei zogen, manche immerhin einen kurzen Blick hinein warfen und nur die allerwenigsten einen Schritt hinein wagten. Schade, denn irgendwie sind solche verlorenen Orte doch auch faszinierend – damals genauso wie heute noch, zumindest für mich, und ich kann mich auch nach einem Jahr noch sehr gut daran erinnern, mit welcher Gefühlsmischung aus Neugierde, Ehrfurcht und Scham ich daran ging, das, was wildfremde Menschen dort hinterlassen hatten, zu durchstöbern, nach Altem zu suchen, nach Interessantem ...
Kapelle

Genauso fasziniert war ich von einer genialen Lösung, die Waldwege auch dort gangbar zu halten, wo sie bei nassem Wetter zu Bächen wurden – und wirklich trocken war das Wetter nicht, was ja für Galizien auch recht normal ist. Für das folgende Photo, wo ich den Weg einfach ohne Leute photographieren wollte, musste ich mehr als 10 Minuten warten – aber das musste einfach sein, auch wenn ein paar von den Photos mit Leuten auch nicht schlecht sind ;-)
Steinweg

Nach über 300 Photos und viel Zeit mit Gucken und Träumen kam ich dann doch noch in Portomarin an, das im Mittelalter sehr wichtig war, sich aber durch den Bau einer Talsperre am Fluss sehr veränderte – es wurde einfach verlegt, wobei natürlich nur sehr wenig der originalen Bausubstanz verlegt werden konnte – so z.B. die alte Kirche San Nicolás, eine alte Wehrkirche.
Portomarin

Nach dem üblichen Einchecken in der Herberge und der Dusche zog ich ins Dorf, hauptsächlich, weil ich mir die Kirche genauer ansehen wollte. In der war ich dann auch recht lange, auch wenn nicht viel zu sehen war – im Gegensatz zu den meisten Kirchen auf dem Weg, war sie auch im Innern recht einfach und fast schmucklos. Mein Mitleid gehörte einem Vogel, der sich ins Innere verirrt hatte und immer wieder gegen die Scheiben der Fenster flog, unfähig, den Weg hinaus zu finden – aber offensichtlich war dem Vieh nicht zu helfen, die Fenster nicht zu öffnen und das Dach viel zu hoch um ihn eventuell einzufangen und hinaus zu bringen.
Vor der Kirche ertappte ich dann noch zwei Damen, die sich das Pilgern doch sehr einfach machten oder zumindest die 100er Grenze sehr frei auslegten, sind es vom Ort ihres Autoausstieges doch weit weniger als die geforderten 100 Kilometer Fußweg ...
Schummelpilger


Strecke: 22 km
Wetter: unterschiedlich bewölkt, oft Regen
Allgemeine Befindlichkeit: erschöpft aber ohne größere Schmerzprobleme

Dienstag, 19. Mai 2009

Jakobsweg – 19.05.2008: Hospital da Condesa => Triacastela

Jakobsweg – 19.05.2008: Hospital da Condesa => Triacastela
Wie immer sehr früh raus – inzwischen hatte ich mich wohl daran gewöhnt, wirklich im Morgengrauen oder sogar davor aufzuwachen. Hospital da Condesa ist, im Gegensatz zu seinem Namen, ein winziges Dörfchen, das sich vielleicht 200 m. am Weg entlangzieht und dementsprechend war auch der Weg zur Bar (für B: das war Nr. 1) nicht weit.
Nach dem üblichen Kaffee – und, soweit ich mich erinnere, gab's hier ausnahmsweise Schinken zum Frühstücksbrot – ging's weiter, die zweite Hälfte des Weges durch das Dorf bis zur Kirche.
Dracula
Weil hier der Kirchturm offen war, nutzte ich natürlich die Gelegenheit, mir das Ganze etwas genauer anzuschauen, kletterte hinein, versuchte zu photographieren (was mir aber gar nicht gelang) und bewunderte die uralte Simpelarchitektur in Stein. Mein Rucksack war vor der Tür geblieben, und so entdeckte dann auch Marc dieselbe und kam auch herauf, ein sehr netter Franzose, den ich hin und wieder schon gesehen hatte, mit dem ich mich bis dahin aber nie länger unterhalten hatte.
Wir zogen also zusammen los (wobei ich ihn mächtig bremste, obwohl ich versuchte, wenigstens ein Stück weit mitzuhalten). Er erzählte mir die spannende Geschichte seines Jakobsweges: lange geplant und immer wieder verschoben weil er oder seine Frau krank waren. Jetzt war er endlich, im zarten Alter von 70 Jahren, gesund genug zu wandern – seine Frau hatte inzwischen verzichtet und ihn allein los geschickt. Zum Abschied hatte er sich im heimischen Garten einen Stock geschnitten, mit dem er auch heute noch unterwegs war, nicht ganz so schick gerade wie meiner, aber dafür um so individueller ;-)
Nach höchstens einer halben Stunde konnte ich dann nicht mehr so schnell wie Marc, also trennten wir uns, er sauste davon und ich zockelte im Langweilertempo hinterher.
Auf dem Weg gab es ein paar winzige galizische Dörfer, die zum größten Teil unbewohnt waren – offensichtlich zieht es die Bevölkerung weg aus dieser Gegend in die Zentren, wo hoffentlich ein besseres Leben möglich ist – aber auch wenn die Tatsache, dass die Leute dort kaum ihr Auskommen haben, traurig klingt, so ergibt sich aus dem Wegzug doch eine Vielzahl von Motiven, die zumindest mich ansprechen – vielleicht liebe ich ja doch das Morbide ...
Fenster

Nachdem Marc davon gesaust war, wanderte ich wieder allein durch diese sehr angenehme Wandergegend – der Weg führte auf Pfaden und landwirtschaftlichen Wegen durch eine zwar sehr hoch gelegene (1200 bis 1300 m) aber nur schwach gewellte Gegend, es regnete nicht und ich liebte es, den Blick schweifen zu lassen.
Unterwegs begegnete ich dann auch wieder einer Familie, von der immer wieder gesprochen wurde und die ich immer nur von Ferne sah, diesmal kam ich zwar direkt an den Eseln vorbei, aber die Reiter (die beiden Kinder) oder die beiden Leute, die die Esel führten (die Eltern einer Familie, die wohl aus Frankreich kam, zumindest wurde das erzählt von Leuten, die mehr als nur die Esel getroffen hatten).
Dracula

Eigentlich ja eine durchaus bemerkenswerte Sache das, da wandern ganz viele Leute unabhängig voneinander einen Weg und nach einiger Zeit kennt man sich – ich hatte von der französischen Familie gehört, später traf ich dann Leute, die irgendwann dann feststellten: „Ach, du bist das mit der kaputten Karte“, weil sie von mir gehört hatten – richtig klein ist die Welt das Jakobsweges offensichtlich.

Nach einigen Kilometern gab es dann doch noch eine richtig heftige Höhenänderung auf dem Weg, von 1200 Metern ging es auf 6 Kilometern wieder herunter auf harmlose 650 Meter – aber auch wenn das ein beachtenswerter Abstieg ist, fiel er mir kaum auf, weil es auf schmalen und nicht zu zerstörten Wegen über lange Strecken durch Wald oder Landwirtschaft ging, angenehm zu gehen und lange nicht so verschlammt und gelenktötend wie in den Pyrenäen.
Eigentlich hatte ich ja geplant, noch weiter zu gehen, aber als ich das kleine Dorf Triacastela fand, das nett im Tal lag und vor allem die Herberge sah, zwischen Dorf und Fluss gelegen, entschied ich spontan, zu bleiben, auch wenn ich höchstens 16 Kilometer gewandert war und die Energie für weit mehr gereicht hätte.
Herberge in Triacastela

Die Herberge war noch geschlossen, als ich ankam, aber würde bald öffnen, also vertrieb ich mir die Zeit mit einer kleinen Mahlzeit aus der Tüte. Als die Herberge öffnete, besetzte ich flugs ein Bett – hier gab es sehr nett eingerichtete Viererzimmer mit dem unendlich großen Nachteil, nicht geölter Schwingtüren – wann immer jemand hinein oder hinaus ging, ertönte ein Lärm, der die ganze Herberge erschütterte – und dieses überaus moderne Prinzip von Türen, die ohne Probleme jederzeit geöffnet werden können, auch wenn man z.B. einen Rucksack vor sich her trägt oder Handtücher und Wechselklamotten, dieses Quietschschwingtürenprinzip zog sich durch die ganze Herberge: Duschkabinen, einzelne Toiletten, jeder Raum hatte diese Türen. Mir war schnell klar, dass es eine harte Nacht werden würde in Triacastela.
Am Nachmittag nutzte ich die freie Zeit (selten war ich so früh in einem Ort) um mich umzuschauen, schade nur, dass dort nichts zu sehen war. Immerhin begegneten mir ein paar Reiter auf dem Friedhof, allerdings waren das eher die Leute, die man sich unter arrogantem Reitersvolk vorstellt, schicke Pferde sowieso, Reitklamotten vom Feinsten (zumindest frisch gewaschen, hochglanzgeputzte Stiefel, ...) und natürlich kein Gruß oder ähnliches (später sah ich dann, wie die Pferde in Anhänger verladen wurden, am nächsten Tag würde ich sie wieder sehen, Geländewagen entsteigend, nachdem Pferde und Reiter um die anspruchsvolleren Teile des Weges herum chauffiert worden waren)
hochwohlgeboren?

Richtig fasziniert war ich von der Architektur des Einfachen – aus den Steinen, wie sie auch zu Hauf auf dem Feldern herum lagen oder aus dem Waldboden ragten, war einfach alles gebaut, Häuser, Wege, Treppen, ... Und dabei wurde dieses eher grobe Material doch sehr kunstvoll verarbeitet und ergab perfekte Linien und Kanten, die auch in Ruinen oder zumindest leerstehenden Häusern noch lange Zeit erhalten blieben, ... Doch, für mich hat Galizien mit seinen tiefen Wäldern, diesen Häusern, diesen Steinen etwas sehr Mystisches, auch wenn ich nur Triviales photographierte:
Leerstand

In der Herberge traf ich San wieder, die ich in Leon das letzte Mal gesehen hatte, wo sie mir fünf Euro aufgenötigt hatte, nachdem sie von meinem Kartenproblem gehört hatte. Mit ihr unterhielt ich mich längere Zeit – nachdem ich aber reichlich Kram für's Abendessen eingekauft hatte, ergab sich kein gemeinsames Abendessen, wozu ich sie gerne eingeladen hätte, sie ging in eine Bar im Ort, um dort das Pilgermenü zu genießen, ich in die Herberge, wo ich mich an einem Salat aus der Plastikschüssel, frischen Gurken und Tomaten und einem Käsebrot gütlich tat und dabei mit einem Paar sprach, soweit ich mich erinnere, waren es wieder die beiden aus Irland, die ich einige Tage zuvor mal kennen gelernt hatte, aber genau kann ich mich nicht mehr erinnern, ich weiß nur noch, dass wir lange zusammen saßen, ich aus meinen Vorräten aß und mich freute an frischem Gemüse und die beiden sich an ihrer Konserve gütlich taten. Die Frau hatte mir mittags ein Buch geliehen mit Geschichten, das ich dann am Abend schon wieder zurückgeben konnte, nachdem ich zwei oder drei der Geschichten gelesen hatte, zufälligerweise ein Buch mit Texten einer südafrikanischen Autorin, die Südafrika dann doch ganz anders sah als San.
Im Dorf hatte ich in einem winzigen Laden ein paar englischsprachige Bücher entdeckt, so dass ich jetzt wieder ein Buch hatte (auch daran, welches Buch ich damals gekauft hatte, kann ich mich nicht mehr genau erinnern, es war zumindest etwas, was wohl unter dem Oberbegriff „unterhaltende Literatur“ oder Ähnlichem zu verhackstücken wäre). Da abends das Licht zentral gelöscht wurde, hatte ich noch einige Zeit Licht und widmete mich dann auch mindestens eine halbe Stunde dem Lesen im Bett, einer meiner Lieblingsbeschäftigungen überhaupt.


Strecke: 16 km
Wetter: anfangs recht kühl, später dann ausreichend warm, heftig bewölkt aber überwiegend trocken.
Allgemeine Befindlichkeit: Entspannt ruhig, ein wenig erschöpft.

Montag, 18. Mai 2009

Jakobsweg – 18.05.2008: Vega de Valcare => Hospital da Condesa

Das erste Photo, das ich damals gemacht habe, entstand außerhalb des Ortes um 6.28 Uhr, also bin ich wohl gegen 6.00 Uhr aufgestanden. Auch in dieser Herberge war ich nicht der erste, wurde aufgeweckt von irgendwem, packte in aller Stille meine drei Teile und machte mich draußen vor der Tür fertig und hatte die Herberge inklusive Zähne putzen und einem schnellen Kaffee aus der Tüte schon verlassen, als die Rascheler, die mich mit ihrem Frühgemähr aufgeweckt hatten, endlich den Schlafsaal verließen.
wirklich richtig früh

Auch wenn Gott und die Welt höllische Angst vor der Etappe gehabt hatten, ging ich frohgemut los, mitten hinein in den Regen oder Nebel oder die Wolke oder was auch immer es war, was ständig zwischen völlig durchnässt werden und nicht ausreichend für den Regenumhang schaukelte, so dass ich immer wieder wechseln musste: zog ich den Regenumhang an, wurde mir schnell viel zu warm darunter, zog ich ihn aus, wurde ich nass und nässer. Aber ausnahmsweise ging ich fröhlich vor mich hinpfeifend, völlig ohne Musik in den Ohren, gut gelaunt und genoss die Regenbilder – wirklich richtig schön, der Regen in den Bergen, aber schwierig zu photographieren. Richtig spannend wäre wohl mal eine Serie über eins der leer stehenden Häuser, bei der richtigen Beleuchtung kann ich mir vorstellen, dass es da auch arg gruselig sein kann – bei Gelegenheit werde ich auch von diesem Haus noch ein paar Bilder hoch laden.
Leerstand

Irgendwo kam dann auch die lang erwartete Grenze zu Galizien, gekennzeichnet tatsächlich durch einen Zaun (wohl eher wegen irgendwelcher wildschützerischer Angelegenheiten, weniger ein Grenzzaun) und einen Stein.
Grenze zu Galizien

Ich war nicht besonders schnell wurde wohl auch ein paar mal überholt (aber überholte wiederum andere), und schließlich hatte ich die 12 Kilometer und 800 Höhenmeter überwunden und war oben auf dem Berg, wo ich einfach nur noch höllisch fror.
O Cebreiro

Aber die Regen/Nebel/Wolkenstimmung in diesem Kloster war einfach nur gut – anzuschauen, für einen Moment, wohnen würde ich an so einem Ort ja auf gar keinen Fall wollen. Inmitten des Nebels strahlte das alte Kloster mitsamt der Nebengebäude ja mystisch aus – hauptsächlich Kälte – und ich fing an, in meinem Kopf Scenarien für grausame Filme zu entwickeln, aber irgendwann zwang mich die Kälte doch zur Flucht. Eigentlich war ja geplant, dort oben einen Kaffee zu bekommen, aber die meisten Sachen waren einfach geschlossen, es war gerade Zeit für die Pilgermesse (wäre es geheizt gewesen, hätte ich ja vielleicht sogar teilgenommen, einfach um mich aufzuwärmen) und noch zu früh für die Tages-Ausflugstouristen – aber in einem dieser Häuser bekam ich von einer unwirschen Bedienung dann doch einen übertreiben teuren und kaum wärmenden Kaffee und beschloss, gleich weiter zu sausen, in der Hoffnung, mich aufwärmen zu können, wenn ich einfach schneller wanderte.
O Cebreiro

Flugs wanderte ich also weiter, gab wirklich richtig Gas auf dem Weg, der schwach abschüssig war und fror dann auch wirklich etwas weniger, vor allem, als es mir endlich gelang, aus der Wolke heraus zu kommen, die seit dem Morgen die Gegend eingehüllt hatte.
Wolke

Ich wanderte noch weiter bis nach Hospital da Condesa, wo ich gleich bei Ortseingang dem Wegweiser zur Herberge folgte, die bis auf Matthias völlig leer war – der Herbergsvater würde sicherlich irgendwann noch kommen und so genossen wir eine absolut leere Herberge, reservierten uns die nettesten Betten, schwelgten in Massen warmen Duschwassers – was ich auch brauchte, war ich doch völlig durchfroren.
Heute habe ich keine genaue Erinnerung mehr an Matthias, es ist einfach zu viel Zeit vergangen, ich weiß aber noch, dass wir uns auf Anhieb verstanden, unseren Proviant teilten, sogar Tee und Kaffee kochten, dann noch eine gemeinsame Waschmaschine hinbekamen (in der Regel hatte einer der Pilger nie genug Klamotten, um eine ganze Waschmaschine zu füllen) und den Abend dann unabhängig voneinander verbrachten, ich erforschte das Dorf, was er machte, weiß ich heute nicht mehr.
Auf dem Weg nach Hospital hatte ich aber noch das passendste Denkmal überhaupt gefunden:
Denkmal
Diese Figur zeigte wie keine andere am Wegrand, wie ich mich an jenem Tag fühlte: nicht einsam aber allein stemmte ich mich gegen den Wind, der teilweise wirklich von vorn blies, kämpfte gegen den Regen und wanderte wacker weiter ...



Strecke: 22 Kilometer
Wetter: neblig, Regen, sehr wenig Sonne
allgemeine Befindlichkeit: gut, auch wenn's weh tut ;-)

Jakobsweg – 17.05.2008: Ponferrada => Vega de Valcare

Jakobsweg – 17.05.2008: Ponferrada => Vega de Valcare

Wieder einmal wurde ich früh geweckt, ich selbst hätte ja weiter schlafen können, aber die Gruppe Brasilianer inklusive der netten Frau, die ich so überaus süß fand, machten morgens wieder eine Menge Lärm, schafften es aber wie immer nicht, den Schlafraum zu verlassen. Und heute, ein Jahr später, lese ich, dass ich damals von der überaus Süßen schrieb, und kann mich nicht im geringsten erinnern – ich weiß, dass es diese Gruppe gab, tagsüber ganz nette junge Leute, die ich hin und wieder gesehen hatte, wie man sich eben öfter mal begegnet, unterwegs, und dass genau diese netten Leute abends schon nicht die ruhigsten waren, was mir auffiel aber nicht sonderlich störte, denn sie waren zwar nicht mucksmäuschenstill, aber auch nicht so lärmend, dass sie wirklich gestört hätten – aber morgens waren sie dann doch etwas nervig, so dass ich eben sehr früh aufstehen musste.
früh

Frühstück gab's erst mal keins, nur einen Kaffee aus der Tüte schon in der Herberge, in Ponferrada hatte ich einfach noch keine Lust zu pausieren, nachdem ich die Herberge verlassen hatte.
Nach der Herberge kam ich dann an der Burg vorbei, die ich ja gestern hätte ansehen können, wenn ich ein paar Stunden früher gekommen wäre.
Burg

Außer der Burg gab's noch eine Kathedrale um vorbei zu wandern und einige verschiedene Denkmäler, die allesamt ganz unterschiedliche aber keine Hochwohlgeborenen zeigten, wie das die üblichen Denkmäler in deutschen Landen zum Beispiel ja tun, hier gab's keine Fürsten oder Könige oder Herzöge sondern an der einen Stelle waschende Frauen, an der anderen mal wieder einen Pilger
Pilger?

Im nächsten Dorf gab's dann doch ein Frühstück, ganz gemütlich und fast allein in einer Dorfbar. Im Gegensatz zur Dorfbar war aber der Weg fast schon überlaufen, überall waren Massen von Menschen unterwegs – vor allem in Villafranca del Bierzo, einem Ort, der für den Weg tatsächlich von historischer Bedeutung ist: Dort wurde den Pilgern, die die folgende Etappe über die Berge aufgrund von Alter oder Krankheit nicht schaffen konnten, in einer Kirche der Gnadenablass erteilt. (Seltsamerweise schweigt sich Wikipedia gerade über Villafranca del Bierzo aus, während andere, zumindest für den Jakobsweg weniger bedeutende Orte weit ausführlicher beschrieben werden https://de.wikipedia.org/wiki/Villafranca_del_Bierzo ).
Und natürlich ist dieser Ort auch heute noch sehr wichtig – und neben den Pilgern, die zu Fuß unterwegs sind, auch ein ganz wichtiger Ort für andere Pilger:
Die entsprechenden Busse halten am Ortsrand, Massen von Menschen in funkelnagelneuen Wanderschuhen mit den schicken Nordic-Walkin-Stöcken, die offensichtlich noch keine Pfütze gesehen haben, allesamt mit einem Minirucksack bewaffnet, in dem sich wohl diverse Kleinigkeiten verstauen lassen, die aber in der Regel arg leer aussehen, Massen von professionell ausgestatteten Wanderen eben, strömen aus den Bussen und wandern dann frohgemut in das Dorf herein, wichtig aussehend, um dann überall wo nur möglich hineinzuströmen und Stempel auf dem Pilgerausweis zu sammeln – einen bekommt man beim Café, einen in der Kapelle, einen im Dorfmuseum, in den drei Kirchen des Ortes, sofern sie geöffnet sind, dann auch jeweils einen ... Wenn die Gruppe dann durch das Dorf schwadroniert ist, wartet, bevor man durch langweilige industrielle Vororte wandern müsste, dann wieder der Bus, in dem man zum nächsten bedeutenden Ort gekarrt wird – und wer in so einem Dorf nicht mindestens fünf Stempel ergattert ist sowieso unten durch ... (den Beispielbus habe ich ankommen gesehen, aber zum Photographieren war er zu weit weg, die Gruppe hat mich dann teilweise überholt, weil ich mit meiner Kamera und nach 24 Kilometern doch etwas langsamer bin als diese Musterwanderer, ein viel zu großer Teil der Gruppe lärmte in die kleine Kapelle, in der ich versuchte, ein paar Photos zu machen.
Kapelle

Die Kapelle war uralt und vollgestellt mit Wallfahrtsbedarf – vermutlich zieht das ganze Dorf zu einem bestimmten Anlass durch die Umgebung ausgerüstet mit dem ganzen Jakobsweg in güldenen Figuren. Und wirklich spannend war neben der Kapelle und ihrem Inhalt das Verhalten der Busler: Sie strömten sich laut unterhaltend herein, scharten sich um den Tisch am Eingang, wo man Informationsmaterial erwerben konnte, wo leider aber auch Stempel vergeben wurden, und erst wenn der Stempel im Pilgerpass war, gab es dann ein paar dieser Buspilger, die sich im Innern noch umsahen, viele aber zogen mit ihrem Stempel gleich wieder weiter, das primäre Anliegen war ja erfüllt. Ich hätte gern ein wenig nachgefragt, fand ich die kleine Kapelle doch recht bemerkenswert, einerseits als Stauraum für lauter Heilige, aber andererseits auch aufgrund des fest installierten Schmuckwerks, gerne hätte ich ein wenig über die Geschichte erfahren, gerne noch etwas mehr geschaut, aber ob der Invasion der zutiefst gläubigen Stempler musste ich doch nach draußen flüchten – und rund um meinen Rucksack mit Stock und Hut ließ sich gerade ein anderer Teil der Gruppe photographieren, die ich gewähren ließ, dann wortlos einpackte, tatsächlich genervt aber doch so höflich, nichts zu sagen und wollte gerade von dannen ziehen, als sich eine ca. 50 jährige Dame aus der Gruppe entblödete, mehr als lauthals zu fragen „Sind Sie auch wegen dem HaPe hier?“ Ich entgegnete im eisigsten Ton, der mir möglich war, dass dem glücklicherweise und ganz gewiss nicht so sei, dass ich das Buch nicht einmal gelesen hätte und so bald auch nicht lesen würde und stapfte weiter.
Am Ortsausgang wartete dann auch wieder der Bus und die besonders wackeren Stempler hatten es offensichtlich geschafft, schneller als ich durch den Ort zu kommen, hatten also ihre Stempel beisammen und warteten im Bus sitzend auf die Nachzügler.
Was ich leider am Ortsausgang nicht fand, war der Wegweiser, der den Weg abseits der Straße anzeigen sollte – ich erwischte nur den Weg an der Straße, der aber auch nicht gar zu schlimm war – es war spät, außerhalb des Ortes sah ich nur noch ein paar RadPilger, die an mir vorbei sausten aber keine Wanderer mehr und die Straße zog sich durch das Tal eines kleinen Flusses inmitten eines wunderschönen Waldes – ich wanderte vor mich hin und wurde den Rest des Tages kaum noch gestört.
In Pereije, also ca. 29 oder 30 Km nach Aufbruch, traf ich ein französisches Paar, die ich schon vorher hin und wieder gesehen hatte, sie waren in der Herberge unter gekommen und fragten, ob ich nicht auch bleiben wollte, es sei eine wunderschöne Herberge, aber noch hatte ich keine Lust zu bleiben und wollte noch nach Trabadelo, weitere vier bis fünf Kilometer weiter – nicht zuletzt auch, weil ich den Weg neben dem rauschenden Fluss und der Straße, auf der mehr Radfahrer unterwegs waren als Autos, so schön fand.
Weg

In Trabadelo fand ich die Herberge auch, auch dort nicht allzu viele Menschen und vor allem sehr viele sehr junge Leute – aber leider war die Herbergsmutter nicht da und niemand wusste, wann sie zurück käme – und die Herberge war verschlossen. Also ging ich einfach weiter.
Die Broschüre der Regierung des Bezirks mit dem Herbergsverzeichnis, die ich dabei hatte, versprach mir eine Herberge nach vier weiteren Kilometern – und die würde ich ja locker schaffen, schaffte sie auch ohne Probleme, nachdem ich eine kleine Kaffeepause gemacht hatte. Nur leider war die Herberge geschlossen und würde erst im Juni öffnen. Und bis zur nächsten waren es dann noch 5,7 Kilometer.
Richtig spät war es, als ich ankam, inzwischen tat auch so ziemlich jeder Muskel weh, und viel weiter hätte ich nicht mehr gehen können, ich hatte schon Ausschau gehalten nach Möglichkeiten, draußen zu übernachten, wenn die Herberge hier geschlossen oder überfüllt wäre, denn viel weiter hätte ich nicht gehen können. Aber es gab noch reichlich Platz, nur ging die Herbergsmutter Maria , kurz nachdem ich angekommen war und überließ uns und die Herberge ihrem Schicksal (was ausnahmsweise blöd war, denn kurze Zeit später ging der Strom nicht mehr und niemand wusste, wie die Herbergsmutter zu erreichen wäre).
Später spielte ich noch Herbergsvater, als zwei Spätpilger kamen, ein offensichtlich ganz heftig frisch verliebtes junges Paar, die wichtigeres zu tun hatten, als jeden Morgen los zu rennen und blind bis zum nächsten Etappenziel zu sausen um da rechtzeitig anzukommen. Die paar Leute, die in der Herberge noch wach waren, wussten nicht, was nun zu tun wäre, war doch keine Herbergsmutter da, also übernahm ich spontan den Job, erklärte ihnen die Situation, gab ihnen ihre Stempel und erläuterte, dass die Übernachtung zwar fünf Euro pro Person koste, dass ich aber vergessen hätte, sie ins Buch einzutragen, und dass es nun ihnen anheim gestellt sei, das Versäumnis am nächsten Morgen mit der echten Herbersmutter zu klären, wenn sie darauf bestünden, den üblichen Beitrag zu zahlen (und ich glaube, die beiden waren ganz froh darum, hier noch unterzukommen und nicht bezahlen zu müssen). Richtig süß kochten sie sich dann noch zusammen eine Mahlzeit auf ihrem Kocher, den sie mit sich schleppten, süß, weil sie ständig umeinander waren, kaum von sich lassen konnten und perfekt miteinander arbeiteten – doch, die beiden waren schon klasse.
Tenor der Gespräche hier und auch bei den letzten zwei, drei Pausen war der morgige Bergaufstieg gewesen: wenn man der Etappeneinteilung folgte, die die meisten Führer vor gaben, wären insgesamt 900 Höhenmeter von Villafranca bis zum O Cebreiro zu klettern gewesen – da wir etwas weiter waren, blieben nur ca. 700 Höhenmeter übrig, es wurde von 13 Kilometern Steigung gesprochen. Viele Leute überließen es Taxis und anderen Transportern, das Gepäck nach O Cebreiro zu bringen, um die grausame Steigung ohne Gepäck zu schaffen und ich machte mir kurzfristig Gedanken, hatte ich doch die Gelegenheit verpasst, genau diesen Transport auch für mein Gepäck mit Maria zu organisieren – aber dann schlief ich doch gut und tief in der Hoffnung, auch diese Hürde am nächsten Tag nehmen zu können.


Strecke: ca. 43 Kilometer, ca. 62 000 Schritte
Wetter: aufgelockerte Bewölkung, trocken, angenehm warm
allgemeine Befindlichkeit: gut (ok, erschöpft am Abend aber richtig wohlgemut).

Jakobsweg – 16.05.2008: => Rabanal del Camino => Ponferrada

„nee nee, kann nix schreiben, passiert ja nix hier außer gehen, gehen, gehen“ schrieb ich damals auf. Das lag vielleicht auch daran, dass ich einiges gewandert war und abends einfach keine Lust oder Energie hatte, denn wenn ich mich heute zurück erinnere, fällt mir doch einiges mehr ein außer nur gehen und gehen.
Zunächst erinnere ich mich, dass ich, der ich ja immer die Karte für einen Tag in der Hosentasche hatte, ein Blatt mit Wegbeschreibung, mit dem Wegprofil und eben der kleinen Karte, auf der der Weg, ein paar Dörfer darum herum und die wichtigsten Straßen zu sehen waren, dass ich also auf diesem Wegprofil einen kleinen Schock erlebte, als ich fest stellte, dass ich ja am Vortag schon von 900 Höhenmetern auf 1100 hinauf geklettert war und dass es heute auf über 1500 hinauf ginge und später dann auf 600 hinunter – ein Abstieg, der meine Knie sicher nicht freuen würde.
ganz schön hoch
Aber auch, wenn es für mich Ebenenlandei richtig hoch klingt, auf 1500 Meter hinauf zu krabbeln, war das eigentlich ein ganz gemächlicher Aufstieg von Rabanal aus – immerhin waren es nur noch 400 Höhenmeter, die auf ungefähr 14 Kilometern zu schaffen waren – und mit dem Training der letzten Zeit doch nicht so schröcklich, wie die Steigungen der ersten Zeit. Und der Weg, der über lange Strecken eine kaum befahrene Nebenstraße begleitete, war zudem ganz angenehm zu wandern, vor allem, da ich es schaffte, den ganzen Tag allein zu bleiben und mich um nichts als mich, meine Kamera und die Ausblicke zu kümmern, die sich am Weg eröffneten, wie z.B. auf diverse alte Gebäude in mehr oder weniger zerstörtem Zustand.
Ruine

Ganz oben kommt man dann an das Cruz de Hierro https://de.wikipedia.org/wiki/Cruz_de_Ferro eine Wegmarke, die den höchsten Punkt des Jakobsweges markiert (in den Pyrenäen gibt es auf dem aragonesischen Weg einen höheren Pass, aber den bin ich ja nicht gewandert ;-) Natürlich steht heute an der Stelle nicht mehr das originale Kreuz aus Zeiten der Christianisierung, aber es wird gemunkelt, es gäbe dort oder in unmittelbarer Nähe einen Steinhaufen aus römischer Zeit, zu der es üblich war, Weggöttern mit mitgebrachten Steinen an besonderen, heiligen Stätten zu huldigen und der hiesige Pass war sicher eine der heiligen Stätten.
Heute steht dort ein großes Kreuz auf einem Baumstamm inmitten eines Haufens von Steinen, der von den Pilgern täglich vergrößert wird.
Cruz de Hierro

Und wie immer an solchen Orten gibt es eine Unzahl von kleinen Texten, die auf den Gaben hinterlassen werden (und ketzerisch wie ich bin, habe ich mich dort nicht verewigt):
Votivsteine

Ich verbrachte lange Zeit dort oben, auch in der Hoffnung, ein paar Photos machen zu können, die nicht zu stark bevölkert sein würden – und als jemand, der dort oben mit Kamera herumlungert, wurde ich denn auch einige male gebeten, Photos von x y vor, neben, auf dem Kreuz, das Kreuz umarmend, um das Kreuz versammelt usw. zu machen.
Schließlich zog auch ich weiter, überwand meine Angst vor dem Abstieg und versuchte, die 900 Meter, die es jetzt auf 10 Kilometern hinab ging, möglichst knieschonend hinter mich zu bringen. Der Weg führte über zwar in der Nähe der Landstraße, verließ ihre Trasse aber öfter und verlief auf schmalen, aber sehr schönen Pfaden durch eine recht archaische Landschaft (die ich tausend mal photographiert habe, die ich aber später erst zeigen kann). Ganz deutlich erinnere ich einen Pfad, der unter Bäumen sehr steil nach unten führte, teilweise auf Stufen, die sehr roh in den Untergrund gehauen waren, teilweise auf dem Boden, wenn ich mich recht erinnere, basaltartigen schrägen Platten. Einfach schön, wie geschaffen für einen Romantiker wie mich.
Natürlich gab es auch dort wieder viele Schafe, auch dort habe ich eins der Jakobsweg-Schafsbilder gemacht:
Jakobswegeschaf
Der Weg nach Pnoferrada verlief dann ohne besondere Zwischenfälle, es gab immer wieder Natur, Jakobsweg, Pilger und Kleinigkeiten zum Photographieren, aber viel ist dabei nicht herausgekommen – nur die alten Häuser, die in den kleinen Dörfern herumstehen, die sahen inzwischen ganz anders aus als z.B. in den Pyrenäen.
Treppe

Als ich am späten Nachmittag dann nach Ponferrada hinunter kam, war ich rechtschaffen müde, wieder mal der einzige Pilger weit und breit und erstaunt, nach dem ganzen Tag angefüllt nur mit Natur und Schafen, eine ganze Stadt inclusive Menschen zu sehen.
Ponferrada

In Ponferrada fand ich eine Herberge, an die ich mich gar nicht mehr erinnere, ich habe damals nur aufgeschrieben, dass es dort von Deutschen wimmelte und dass ich dort das Photo des HP-Effektes machte, einer ganzen Gruppe von Leuten, die lauthals über das Buch von Hape Kerkeling diskutierten – das Bild werde ich bei Gelegenheit mal online stellen, wenn ich es wieder finde.

Strecke: 32 Kilometern
Wetter: sonnig warm
allgemeine Befindlichkeit: gut, auch nach dem Abstieg (teils rückwärts) ging's den Knien, die natürlich wie immer leicht schmerzten, doch ganz gut.

gut geht's

nach der letzten Operation bin ich für ein paar Tage bei E. in N. bis ich dann Montag wieder in die Klinik gehe, um dann am Dienstag die hoffentlich letzte Operation hinter mich zu bringen - und dann könnte das ganze erst mal, mit etwas glück, vorbei sein, zumindest was klinikaufenthalte angeht ;-)
und ja, besuch gab's reichlich:
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Jakobsweg – 15.05.2008: Hospital Orbigo => Rabanal del Camino

Vom gestrigen Tag habe ich eine Kleinigkeit aufzuschreiben vergessen: Die Gruppe von Brasilianern – und auch wenn ich HaPe Kerkeling nie gelesen habe, hat sich auch zu mir rumgesprochen, dass der angeblich von vielen Brasilianerinnen erzählt hatte, die kaum anderes im Kopf hätten als die Frage, wer mit wem. Auch in der Herberge in Hospital Orbigo hatte ich es mit einer Gruppe von Brasilianern zu tun, von denen mir allerdings weder irgendwelche wie auch immer gearteten sexuellen Betätigungen aufgefallen wären noch sonstige Besonderheiten im Gehirn verblieben wären, das einzige, was ich noch erinnere, ist die Tatsache, dass gerade diese brasilianische Gruppe sehr früh aktiv wurde und – wie bei Gruppen üblich – kaum Rücksicht zeigte und ratzfatz jeden aufweckte, zumindest aber mich, der ich eine recht schlaflose Nacht hinter mir hatte, hatte doch ausnahmsweise das Schnarchen im Bett nebenan arg gestört (der gute Mann schnarchte so unregelmäßig, dass man sich wirklich nur schwer daran gewöhnen konnte).
Das Frühstück fiel kurz aus, es gab die Reste aus der Tüte, die ich am vergangenen Tag schon herumgeschleppt hatte, Kaffee aus der Instant-Packung, alles im noch sehr kühlen Freien des Herbergsgartens und auf die Schnelle, vor allem auch um den sich allmählich formierenden Gruppen zu entgehen.
Schon im nächsten Dorf nutzte ich die Gelegenheit, die sich durch eine gerade öffnende Bar ergab, für ein zweites Frühstück – und das nach nur ca. 2 Kilometern – nicht zuletzt auch in der Hoffnung, dem Regenguss zu entgehen, der sich am wild bewölkten Himmel ankündigte.
Ganz ohne Regen ging es dann aber doch nicht – es war nicht gar so schrecklich, wie es geschienen hatte, ich kam ohne den Regenumhang aus, aber es nieselte doch beständig und war nicht wirklich begeisternd schön – aber die Pflanzen im Wald sahen doch ganz hübsch aus so grün und beregnet ...
spanisches Moos

Irgendwo versteckt im Wald gab es denn auch wieder eine typische der-Weg-feiert-sich-selbst-Stelle, wo Unbekannte (zumindest habe ich keine Ahnung, wer das war und zur Zeit auch keinen Internetanschluss, über den ich die Möglichkeit hätte, ein wenig zu forschen, den Upload organisiert B. für mich, der die Texte auf dem Stick mitnimmt, um sie dann für mich hochzuladen), wo also Leute, über die ich zur Zeit nichts sagen kann, ein paar Pilgerwegskunstwerke der eher naiven Art aufgestellt haben. Um diese Kunstwerke, vermutlich an einer Stelle hinterlassen, die irgendeine geschichtliche Bedeutung für den Weg hat, vielleicht stand dort mal ein Kloster, wahrscheinlicher eine Herberge, noch wahrscheinlicher ein alter Wegweiser und noch wahrscheinlicher etwas noch weniger Bedeutsames, aber egal, wessen an dieser Stelle gedacht wird, sie wird von einer Unzahl von Pilgern genutzt, ihre Wegmarken zu hinterlassen – vom verschwitzten, zerrissenen T-shirt, das kurzerhand beschriftet wurde, über verschlissene Turnschuhe bis hin zur abgebrochenen Fahrradpedale findet sich ein wildes Samelsurium von Hinterlassenschaften, meist mit Namen und Datum versehen, oft mit ein paar klugen Sprüchen, immer wieder mit frommen Wünschen für andere, sehr oft mit ganz eigennützigen, nicht weniger verständlichen Wünschen wie „möge die Krankheit von mir genommen werden“.
Aber was lästere ich hier vor mich hin – ist doch dieser Text hier nichts anderes als eine etwas länger formulierte Hinterlassenschaft – und dummerweise nicht einmal auf dem Weg selbst hinterlassen, sondern online und um ein Jahr versetzt ...
Das Bild dazu:
Wieder mal ein Pilger


Einige Stunden und ein paar Kilometer später gab es einen kleinen Aufstieg auf eine kleine, etwas höher gelegene Ebene und an deren Ende einen kleinen Turm, der vielleicht einmal eine Antenne getragen hatte, vielleicht auch nur als Aussichtsturm gedacht war, vielleicht einem völlig anderen Sinn diente, den ich mir nicht vorstellen kann, auf jeden Fall hatte der Turm eine Leiter und eine kleine Plattform oben drauf, wo man einmal stehen und in die Ferne blicken könnte – was lag also näher, als genau das zu tun. So dachte ich, legte also den Rucksack ab und war in Nullkommanichts oben auf dem Turm, wohl ein wenig belächelt von diesem und jenem, vielleicht sogar mit Kopfschütteln bedacht von den Mitgliedern der lautstark vorbeiziehenden Gruppe deutschländer Wanderer, von denen nicht einer stehen blieb, von denen auch kein einer ein Wort nach oben sandte, nicht einmal der traditionelle Pilgergruß „buon Camino“ wurde erwidert, schön, dass ich diese Leute tatsächlich nicht kannte, vorher nicht gesehen hatte und auch später nicht wieder sehen würde. Die Brasilianer zumindest grüßten hoch, fragten nach der Aussicht und zogen gleichfalls vorbei. Und die Aussicht war auch nicht wirklich berückend schön – aber doch besser als von unten und einfach interessant – zumindest für mich, wer weiß, vielleicht bin ich ja wirklich ein klein wenig anders.
Turm

Nach dem kleinen Abstecher in die Höhe, dauerte es nicht mehr lange bis nach Astorga, wo ich bei den Ausgrabungen römischer Keramik auf heftigen Regen und auf dem Marktplatz dann noch auf Thomas und Sylvia stieß, die ich am zweiten Tag – in der kleinen Herberge von Zubiri kennen gelernt hatte, die dann von Pamplona ins Schwabenland zurückgekehrt waren, um dann in Leon mit frisch geheilten ehemals heftigst entzündeten Nagelbetten erneut loszuwandern. Mit beiden trank ich gemütlich einen Kaffee (und das erste mal auf dem Weg schon zur Mittagszeit ein Bier), besichtigte dann den alten Bischoffspalast (ich habe den Namen des Architekten vergessen, aber hübsche Sachen hat er gemacht, wenn auch nicht ganz mein Stil, könnte es etwas mit Caudillo gewesen sein?), ließ die gerade geschlossene Kathedrale rechts liegen und ging einfach weiter, es war zwar schon 13.40 (das habe ich mir damals aufgeschrieben, interessant, warum wohl?) aber ich beschloss, nicht in Astorga zu bleiben, sondern noch ein paar Kilometer weiter zu wandern, jetzt wieder ziemlich allein auf der Strecke, wie üblich waren nach dem Mittagessen kaum noch Pilger auf dem Weg zu sehen. Um so spannender war dann aber das Gewitter, das sich im Tal rechts vom Weg entlud – und das sehr plötzlich gekommen war, geradezu beängstigend schnell und vor dem ich über eine weite Strecke keine Zufluchtsmöglichkeit gehabt hätte, hätte es plötzlich die Richtung geändert und wäre den Hang hinauf gekrochen, auf dessen Flanke ich unterwegs war. Mit argem Herzklopfen beobachtete ich das Gewitter, versuchte gleichzeitig, es zu photographieren, was natürlich unmöglich war, überlegte, mich notfalls im Straßengraben klein zu machen, weit genug von meinem Gepäck entfernt, wie die Fachleute für so einen Fall raten und war mir nur nicht sicher, ob es notwendig wäre, sich von der Kamera zu trennen und sie beim Rucksack zu lassen oder ob es nicht möglich sei, zumindest dieses gute Stück am Körper zu behalten. Glücklicherweise kam es nicht näher, ich geriet zwar in einige kräftige Regengüsse, auch Hagel war dabei, aber blieb doch von der Hauptmasse des Gewitters verschont.
„In El Gauso dann noch die Meckerziege aus der Herberge (von Hospital Orgibo) sitzend mit einem Glas Bier vor der nächsten Herberge“ schrieb ich damals – und ganz genau erinnere ich mich, dass sie, wie scheinbar bei den meisten Deutschländern auf dem Weg so üblich, übertrieben laut zu ihrem Trinkkumpan sprach. „Wo ist der denn abgestürzt“ fragte sie in einem recht miesen Ton, wohl in der Meinung, ich könne sie nicht hören. Zu mir gewandt und (noch lauter, aber in weniger beleidigendem Ton) fragte sie, warum ich so spät erst ankomme, worauf ich nur entgegnete, dass es doch sehr interessant auf dem Weg sei, dass es einiges zu sehen gegeben habe und dass ich Zeit hätte und wanderte gemütlich weiter, was sie dann ganz offensichtlich nicht begriff (es war sicher schon 15.30 Uhr) – aber selbst wenn ich keine Lust gehabt hätte, weiter zu gehen, in dieser Herberge wäre ich dann ganz sicher nicht geblieben, wenn ich dort einer solchen Person ausgeliefert wäre, aber ich hatte Lust, weiter zu gehen und fühlte mich durchaus in der Lage, noch einige Stunden zu wandern.
Hysterisch fragte sie mich, ob ich wirklich weiter wolle. „Klar, das Gewitter ist doch vorbei“ entgegnete ich. „Bis zur nächsten Herberge sind es aber noch 10 km – und ich habe gehört, dass da alles voll ist ...“ versuchte sie mich zu überzeugen. „'Ich habe gehört' habe ich hier schon oft gehört, und nie hat es gestimmt, tut mir ja Leid, und 10 Kilometer noch? Na und, ich habe doch reichlich Zeit,“ meinte ich und war auch schon weiter gewandert, und blieb ein paar Türen weiter stehen – zum Photographieren natürlich, nicht um einzukehren.
Tür
Vermutlich schwadronierte sie noch den ganzen Nachmittag über diesen Unbelehrbaren, der bestimmt kein Quartier fände – aber es waren tatsächlich nicht zehn Kilometer, sondern gerade mal sechs, ich machte auf dem Weg noch viele viele Photos und fand dann eine Herberge, die fast leer war, in der eine ganz tolle Stimmung herrschte und in der ich die Brasilianer wieder traf – und wieder waren sie laut, wenn auch ganz ohne erotische Intermezzi. Ganz und gar nicht vermisste ich das Gemähre der Meckerziege oder ihrer deutschländischen Genossen ...
Und wie gesagt, ich hatte reichlich photographiert, unter anderem auch einen neuen Kirchentyp, wie er nun häufiger anzutreffen war:
Dracula

Strecke: über 30 Km
Wetter: überwiegend bedeckt, ca. 15 Grad, bei Regen kälter. Viel Regen, Gewitter.
Allgemeine Befindlichkeit: nach zu wenig Schlaf vielleicht ein wenig empfindlich was zu lautes und zu arrogantes Verhalten anging, ansonsten sehr gut, auch wenn die Knie immer noch weh taten, mich aber in der Beweglichkeit nicht einschränkten.

Donnerstag, 14. Mai 2009

Jakobsweg – 14.05.2008: Leon => Hospital Orbigo

Brav war ich um 6.30 aufgestanden und um 7.15 los gewandert. Entgegen dem alten Plan, wieder zurück zu fahren und die Strecke nachzuholen, die ich vor Leon verpasst hatte, hatte ich beschlossen, einfach hier weiter zu machen und die Paar Kilometer zwischen Sahagún und Leon ausfallen zu lassen, ich war einfach genervt von Leon und wollte weg – und vor allem so bald auch nicht wiederkommen.
In Leon kam ich dann auch noch im Sonnenaufgangslicht an einem alten Palast vorbei – ich habe leider inzwischen vergessen, was es war, aber wie so oft war er geschmückt unter anderem mit Pilogerbildnissen, den üblichen Heiligen und eben auch dem schicken, sich ausruhenden Pilger unter dem Kreuz, der genau auf den Eingang schaute:
Kreuz mit Pilger

Außerhalb der Stadt zweigte sich der Weg in zwei Möglichkeiten – entweder an der Nationalstraße entlang etwas einfacher und kürzer mit weniger Steigungen oder alternativ abseits der Nationalstraße und etwas weiter – und natürlich auch wieder mit mehr Steigungen – aber die Straße war dann doch nicht so reizvoll, dass ich an ihr hätte bleiben müssen. Und nachdem ich die lärmende Gruppe französischer Pilger hinter mir gelassen hatte, hoffte ich dann auch, dass es auf der längeren Strecke etwas ruhiger werden würde als zu Beginn der Strecke, wo schon sehr viele Pilger untewegs waren.
Nach einigen Kilometern entdeckte ich dann, dass einer meiner Märchenerzählerhelden, Tolkien, auch hier gewesen sein musste: außerhalb der urbanen Zentren fanden sich kleine offensichtlich sehr alte Gebiete mit Häusern, die Höhlenartig in die Berge hineingebaut waren, noch weit mehr an die Wohnungen der Hobbits erinnernd, als die Siedlung, wie sie für den Film in Neuseeland gebaut worden war:
Auenland
Das Auenland war also ganz offensichtlich keine reine Erfindung – und bei Gelegenheit sollte ich wirklich einmal nachforschen, ob Tolkien in persona dort war oder ob er Kunde von diesen Siedlungen hatte, überhaupt muss ich mal mehr über diese Gegend in Erfahrung bringen.
Neben einigen weiteren Beispielen solcher Siedlungen gab die Strecke sooo viel nicht her, man könnte dort Photos für den „Der Landbote – Kalender für den Bauern von Gestern“ machen, schicke Landschaft mit Hecken und angenehmen Wellenerhebungen, dann mit einem Fluss und natürlich auch Störchen
Fleiger

Wie so oft gab es auch hier die üblichen Wegzeichen mit genauso üblichen Verzierungen, der Jakobsweg und die Pilger darauf zelebrieren sich immer wieder selbst – genau so wie ich das in solchen Photos ja auch zu Genüge getan habe.
Dracula

Dadurch, dass ich einerseits eine weitere Strecke ging, als die meisten Führer beschreiben und mir auch viel Zeit ließ, hatte ich das große Vergnügen, den ganzen Tag allein zu gehen, am Anfang zwar ständig in Sichtweise von ganzen Pilgerscharen, am Nachmittag dann aber wieder ganz allein. Die Wege waren zwar öfter mal kleine Landstraßen, aber auf denen konnte man die Autos, die vorbei kamen, wirklich mit den Fingern einer Hand abzählen.
Vor Hospital Orbigo galt es noch die mittelalterliche Brücke mit dem mittelalterlichen Turnierplatz zu überqueren, wo im Sommer dann Ritterspiele mit Turnieren stattfinden, ein Ereignis, bei dem ich gerne mal zuschauen und photographieren würde. Nicht gar zu weit weg fand ich dann auch eine nette Herberge mit Betten, die in Pavillons im Garten ausgestattet war, insgesamt ein sehr netter Ort, nur leider mit sehr wenigen Leuten, mit denen ich etwas anfangen konnte.
Dracula
Aufgeschrieben habe ich mir ein Zitat von einer Frau aus einer – wieder mal sehr lärmenden – Deutschländergruppe: „Hier gibt’s auch wieder nur dieses weiße Brot, das können die einfach nicht, ...“, ich kann mich auch dunkel an die Gruppe erinnern, die reichlich laut den Garten in Beschlag genommen hatte und in ordentlicher Frührentnermanier gediegene deutsche Piknikmahlzeiten bereitet wurden, aber Details weiß ich nicht mehr, was auch daran liegen mag, dass ich solcher geballter Gruppenpilgerfrömmigkeit regelmäßig aus dem Weg ging. Im anderen, ruhigeren Teil der Herberge fand ich dann noch drei andere Leute, mit denen sich dann ein einfaches geteiltes Abendessen ergab: Burkhard, Hannes und Alexandra, soweit ich mich erinnere, gehörten die ersten beiden zusammen und Alexandra wanderte allein, aber mehr als dieser eine Abend ergab sich wohl nicht. Aber grundsätzlich erging es mir schon so, dass ich mich zusammen mit anderen Einzelwanderern wesentlich besser verstand als mit größeren Gruppen.

Strecke: 30 bis 32 Kilometer
Schritte: 53 500
Wetter: sonnig, warm
Allgemeine Befindlichkeit: gut – nicht mehr einschränkende aber noch vorhandene Schmerzen in den Knien, die mich bis zum Ende nicht mehr verlassen würden, auch noch in den Schienbeinen aber wesentlich schwächer. Mit neuer Kamera und genug Barem für den Rest des Weges wohlgemut.

Jakobsweg – 13.05.2008: Leon

In der Herberge stand ich wie alle anderen auf und verließ sie brav mit meinem Gepäck auf dem Rücken – und das war arg schwer mit zwei bis drei Kilo zusätzlich, die durch die Ersatzkamera inklusive Zubehör verursacht wurde, die ich später per Post nach Santiago schicken würde.
Aber vorher musste ich die Zeit überbrücken, bis das Geld aus D. ankam, das mir E. gleich am Morgen schicken wollte – sie wollte von der Arbeit in das Postamt nebenan gehen und dort die Überweisung auf den Weg bringen.
Allmählich zog ich also Richtung Post und stromerte da durch die Umgebung – saß im Park, und setzte mich in der Nähe in eine Bar, wo ich auf den Anruf wartete, in dem mir E. die Nummer gäbe, mit der ich die Anweisung abholen könnte.
Postpark

Nur kam der Anruf nicht. Bis 12 Uhr wollte ich warten, um dann selbst anzurufen und nachzufragen, E. führte ihr alltägliches deutsches Leben mit dem üblichen Stress mit Arbeit, Kindern usw., in das sie dann den Gang zur Post irgendwie einbauen müsste und ich wollte sie nicht unter Druck setzen und weiter wandern könnte ich sowieso nicht, da ich am Nachmittag mit Paul verabredet war, dem ich ja sein Darlehen zurückgeben müsste – er hatte zwar gesagt, das sei nicht nötig, aber für mich war es nötig.
Irgendwann klingelte dann endlich das Telephon, E war bei der Post gewesen, konnte aber in der deutschen Kleinstadt keine Postanweisung machen, das ging nur von der Hauptpost in einer größeren Stadt - Kassel war wohl gerade groß genug, sich diesen Service leisten zu können. E. war nun auf dem Weg in die Stadt, hatte C. dabei und die Kinder bei einer Nachbarin und Freundin untergebracht, ich müsste mich noch ein Weilchen in Geduld üben.
Etwas später dann ein neuer Anruf, es ging darum, einiges an Informationen auszutauschen, die für die Anweisung nötig waren, so brauchten die Postler die Postleitzahl Leons, die ich nicht wusste (die der Postmensch dann aber doch im Computer fand, außerdem brauchten sie eine Adresse – ich gab ein Cafe an, an dessen Namen ich mich noch erinnern konnte und wo ich auch den Straßennamen schnell fand, eine Adresse, wo ich notfalls dann auch hingehen könnte, wenn das nötig würde, ... und irgendwann gaben sie mir dann eine unendlich lange Nummer und das Passwort (der Name meines Neffen, einfach, eindeutig und unmöglich zu vergessen), mit denen ich mein Geld ausbezahlt bekäme – und das ganze Gespräch fand per Handy auf dem Weg vom Café zur Post statt, in die ich dann auch hinein stolperte und sofort, ohne irgendwelche Probleme, mein Geld bekam, naja, mit dem Problem dann doch, dass im ganzen Postamt die Bargeldbestände zusammen gesammelt wurden, weil eine größere Bargeldauszahlung direkt vor der Mittagspause nicht mehr vorgesehen gewesen war.
Ich konnte dann dem gleichen Schalterbeamten noch mein Paket geben und auf den Weg schicken und genüsslich Mittagessen gehen.
Auf dem Platz vor der Kathedrale wartete ich dann gemütlich auf Paul, der dann auch irgendwann kam um mir strahlend seine Freundin vorzustellen, während ich ihm strahlend seine 20,- € wiedergeben konnte – natürlich war die Kamera dabei.
Stadtleben

In meiner alten Pension hatte es zwar gestern kein Zimmer mehr gegeben, aber ich ging vorbei um nachzufragen, ob es heute wieder Platz gäbe – die Wirtin empfing mich wie einen alten Bekannten und gab mir die Adresse einer anderen Pension, wo sie telephonisch nachgefragt und mich angekündigt hatte.
Ich verabschiedete mich dann also von dem Platz, an dem ich ja relativ lange gewohnt hatte, und wanderte der neuen Pension entgegen, die dann auch praktischerweise auf dem Weg war, auf dem ich Morgen die Stadt verlassen würde.
Platz der Türme

Ich konnte wieder meinen geliebten gelben Pfeilen folgen, wie ich das ja inzwischen gewohnt war, und begegnete auf dem Weg dorthin auch noch einem anderen Pilger:
Pilger

Ich hatte eine neue Bleibe für die folgende Nacht, konnte noch einkaufen, bekam auch ein interessantes Abendessen beim Türken um die Ecke (und spanische Türken kommen spannenderweise aus Indien und spanischer türkischer Döner schmeckt wieder ganz anders als deutscher türkischer Döner) und bereitete mich, wie immer, auf den frühen Aufbruch vor, denn am folgenden Morgen ginge es weiter.

Strecke 0 Km.
Wetter: wärmer, gemischt, aber nur noch wenig Regen.
Allgemeine Befindlichkeit: wieder wohlgemut – körperlich weder durch Knie- noch Schienbeinschmerzen sonderlich eingeschränkt.

Jakobsweg - 12.05.2008: Leon

Und noch ein Tag mehr in Leon – ich hätte zwar genausogut auch weiter gehen können mit meinen 20 Euro, aber das Problem in den kleinen Ortschaften am Rand wäre gewesen, dass es dort einfach nicht die Möglichkeit gegeben hätte, eine Postanweisung zu empfangen. Und immerhin war schon Pfingstmontag, bis Dienstag müsste ich noch ausharren und dann käme die rettende Anweisung aus Deutschland.
Mein Zimmer in der Pension musste ich verlassen, die war ausgebucht für diese Nacht, aber ich könnte in der Herberge schlafen, wo ein freiwilliger Obolus erbeten wurde, aber kein Entgelt. Nur konnte ich da erst nachmittags hin, wie die meisten Herbergen war die geschlossen um gereinigt zu werden. Aber es war kein großes Problem, die Zeit vom Auschecken bis zum Einchecken zu überbrücken, galt es doch einfach, ein Frühstück zu bekommen – wieder in der selben Bar wie gestern auch, günstig und sättigend, der dortige arme Ritter, und dann gab es den großen Platz vor der Kathedrale, den ich mittlerweile ja schon so gut kannte.
Immerhin war ich noch einmal in der Kathedale, diesmal mit etwas mehr Ruhe und etwas besserem Licht.
Leon Kathedrale

Lange sprach ich mit Klaus, dem ehemaligen Banker aus Frankfurt, der mir dann auch erklärte, warum meine Karte nicht mehr funktionierte. Und ich traf San wieder, die mich zu einem Kaffee einlud. Ganz dumm lief eine Begegnung mit einer Gruppe, aus der ich zwei Leute flüchtig kannte, einen sympathischen jungen Spanier und eine deutsche Frau, die sich irgendwo auf dem Weg zum Paar gefunden hatten, die ich beide unterwegs schon gesehen hatte. Und sie wollten dann mit einer größeren Gruppe essen gehen – was natürlich genial für mich wäre, wenn ich einfach mitkäme und die Rechnung dann per Karte bezahlte, während ich von allen das Bargeld bekäme.
Dumm gelaufen, weil inzwischen auch meine Kreditkarte nicht mehr wollte – statt 200 € in die Tasche zu bekommen, waren auch meine letzten 20,- € weg, übrig blieb tatsächlich nur noch genug für ein, vielleicht zwei Kaffee (und dafür dann ein mittelmäßiges, relativ teures Essen mit einer Gruppe, in der es leider nur zwei, drei Leute gab, mit denen ich etwas anfangen konnte, aber deren Mehrheit ich ziemlich schrecklich fand).
OK, das Essen war weg, der Rucksack in der Herberge, ich erforschte die Nebengassen und fand ein paar sehenswerte Kleinigkeiten.
Fenster

Zwischendurch war ich noch einmal bei der Post um detailliert herauszubekommen, wie der Geldtransfer aus Deutschland funktionierte. Dort gab es dann nicht nur den Recken mit dem güldenen Zeh, den ich gestern photographiert hatte, sondern auch endlich mal wieder etwas Graffiti – wie so oft in den Bezirken ein wenig abseits des Zentrums.
Graffiti in Leon

Den Rest des Tages wanderte ich durch die Stadt und überlegte, was ich wohl am Abend essen wollte – entweder ich triebe etwas Geld auf, oder ich würde fasten, ungewollt fasten. Sehr passend dazu fand ich dann immer wieder Details in der Stadt, besonders skuril z.B. diese Kellerklappe:
Dracula

Meine finanzielle Lage entspannte sich, als mir Pauls anbot, mir 20 € zu leihen, er würde auch noch bis Morgen auf seine Freundin warten müssen und erst am Mittwoch weiter wandern, wie ich es auch müsste. Entspannt gab es also doch eine Kleinigkeit zu Essen für den Abend .- soweit ich mich erinnere, ein Brot, etwas Käse und ein paar Äpfel, ein echtes Festmahl also.

Früh ging es dann ins Bett, wieder in einer Herberge, an die ich mich allerdings kaum mehr erinnere (und von der ich dann auch gar nichts aufgeschrieben hatte). Die Herberge gehörte zu einem Orden, ich weiß nicht mehr genau, welchem, und es gab jeden Abend einen Gottesdienst in der Kapelle des Klosters, in dessen Mauern auch die Herberge lag. Ausnahmsweise wollte ich einfach mal bei einer dieser Andachten, wie sie überall auf dem Weg veranstaltet wurden, teilzunehmen – war aber dann doch entsetzt ob einer Nonne, die vor Beginn der Andacht eine halbe Stunde lang den Leuten (auf Spanisch zwar, aber ein ganz klein wenig verstehe ich ja doch) erklärte, wie sie sich cerhalten zu hätten, dass Sie still zu sein hätten, dass sie aber dann besonders laut zu singen hätten um Gott zu zeigen dass wir gute Christen seien usw. usw. Das Ganze erinnerte mich dann leider doch zu sehr an Kasernen oder ähnliche Situationen, wo es nicht auf das ankommt, was man selbst denkt oder fühlt, sondern auf das, was man tun soll oder muss – und nein, ich muss ganz sicher nicht lauthals irgendwelche katholischen Lieder singen, um irgendeinem Gott irgend etwas zu zeigen – wenn es diesen Gott wirklich gäbe, und er hätte diese Schleimerei meinerseits nötig um sich gut zu fühlen, dann wäre dieser Gott eher ein armes Würstchen als etwas in meinen Augen anbetungswürdiges. Nein, gäbe es einen Gott, dann wäre der allmächtig genug, auch ohne falsche Inbrunst und auf Befehl geheuchelte Gläubigkeit zu erkennen, ob es sich bei mir um ein verdammungswürdiges Etwas handele oder nicht. Ich verließ die Veranstaltung dann durch den Eingang, durch den wir auch herein geleitet worden waren, um mich vor verschlossenen Toren wiederzufinden, inmitten einer Gruppe von heftig angeheiterten Belgiern, die heute in Leon angekommen waren, um nach einem feuchtfröhlichen Abend morgen früh die Pilgerfahrt Richtung Santiago zu beginnen, mit dem festen Vorsatz auch auf dem Weg die Abende ähnlich zu verbringen. Es war zwar ganz witzig, mit diesen Leuten, die schon sehr lustig waren, draußen vor der Tür zu stehen, aber die Regeln des Klosters bestimmten ja eigentlich, dass nach 21.30 niemand mehr hinein gelassen würde. Und die Aussicht, hier noch länger warten zu müssen, war nicht die berauchendeste. Aber nach einiger Zeit erbarmte sich jemand unserer und öffnete die Tür, brav verschwanden wir allesamt in unseren Schlafsäcken und wurden nur noch einmal in unserer Ruhe gestört, als die Andachtsteilnehmer den Weg in die Schlafsäle fanden.

Jakobsweg - 11.05.2008: Leon

Nach wie vor hatte ich kein Geld – und ehe das Problem nicht gelöst war, würde ich nicht weiter ziehen.

Ansonsten war heiliger Pfingstsonntag, ich hatte noch eine Nacht in der Pension vor mir, dann würde ich auch die verlassen müssen. Bis dahin konnte ich mich aber dort ganz zu Hause fühlen un dgenoss es, auszuschalfen und in aller Ruhe das Treiben draußen aus dem Fenster zu beobachten, wo sich ein kleiner Park befand, der offensichtlich als Photohintergrund für Hochzeiten und ähnliches benutzt wurde. Dort kamen dann auch mehrere Gesellschaften vorbei, die festlich gekleidete Mädchen begleiteten für irgend eine religiöse Zeremonie, nehme ich an, ich bin allerdings nie dahintergesteigen, was da im einzelnen geschah:
Maedchenfeier

Und bei einer dieser Gesellschaften gelang es den Kindern dann auch, auszubrechen und sich ganz normalen kindlichen Gepflogenheiten zu widmen, statt gut erzogen schön zu sein und zu schweigen:
Kinder

Zum Frühstück gab's dann wieder einfach nur einen Kaffee und ein merkwürdiges Gebäckstück, das immerhin den Bauch besser füllte, als es aussah, etwas, was entfernte Ähnlichkeit mit armen Rittern hatte, Weißbrot in Milch oder in anderen Gegenden auch Ei geschwenkt, um es dann zu braten.
Frisch gestärkt und mit den 22 oder 23 €, die mir blieben, zu haushälterisch um mir teures Obst oder etwas ähnlich leckeres zu gönnen, lungerte ich wieder lange Zeit vor der Kathedrale herum, dem Platz, wo sich irgendwann alle Pilger einfinden und hoffte, dort einerseits mir die Zeit mit Photos vertreiben zu können, andererseits vielleicht nette Leute zu treffen, die mir dann vielleicht sogar weiter helfen könnten (allerdings fand ich niemanden, dem ich eine Transaktion hätte zumuten können, wobei ich in seinem/ihren Beisein per Internet Geld auf sein/ihr Konto hätte überweisen können, um es dann von der Person bar zu bekommen – das wäre eine Möglichkeit gewesen, an Geld zu kommen und ich kann mir vorstellen, dass z.B. die beiden Hessen, die inzwischen aber abgereist waren, um den Weg im nächsten Jahr fortzusetzen, dazu bereit gewesen wären, aber den flüchtigen anderen Bekannten vom Weg wäre so eine Aktion, die ein gewisses Maß an Vertrauen voraussetzt, wohl nicht zuzumuten gewesen.) Absurd eigentlich, da hat man reichlich Geld, so viel wie nie zuvor, und kann es nicht nutzen, weil es nur wenige tausend kilometer entfernt auf einem Konto liegt, über das man zwar für alle möglichen bargeldlosen Sachen verfügt, das einem aber trotzdem nicht das Kleingeld für ein bisschen Obst und Ähnliches für einen richtigen Einkauf ermöglicht.
Egal, das Problem kannte ich schon und hatte ich zu Genüge analysiert, mir blieb einfach nichts anderes übrig, als auf die Postanweisung aus Deutschland zu warten und immerhin hatte ich ja ein wenig Geld für heute und Morgen und bis Dienstag würde ich das schon noch irggendwie hinkriegen. Ich beschloss also, zumindest ein paar schicke Photos zu machen, solange ich in Leon fest saß, es hätte auch schlimmer sein können, in irgend einem der Kuhdörfer auf dem Weg zum Beispiel ..
Wie sich das gehört, besuchte ich natürlich auch die Kathedrale, die mich mit den unendlichen Steinmetzarbeiten mächtig beeindruckte, aufgrund des Dämmerlichts herinnen aber nicht photographierbar, immerhin habe ich einige Aufnahmen des Eingangs:
Jakobsweg-08-05-11-6280.jpg
Kathedrale Leon

Weil es zu langweilig gewesen wäre, den ganzen Tag nur auf dem Platz herumzuhocken, habe ich auch den Rest der (Innen)Stadt erkundigt.
Leon


Aufgrund meiner depressiven Stimmung habe ich damals allerdings nichts aufgeschrieben und anhand der Photos (und die meisten sind dann auch nichts geworden) könnte ich ein, zwei der konzentrischen Kreise um das Zentrum herum rekonstruieren, aber ich glaube, es wäre arg langweilig, hier zu lesen „ah ja, noch ein altes Haus, rechts vom Platz le Torres, und das hier war sicher mal eine Schule oder sowas in der Art und wie hieß die Straße noch, ups, habe ich glatt vergessen ...“, also fasse ich zusammen: Spaziergänge ohne besondere Ziele (und alles, was die Touristeninformation mir anbieten konnte, war entweder geschlossen oder wäre zu teuer geworden), ein paar oberflächliche Gespräche mit ein paar Mitpilgern, Panikattaken, während derer ich mich neben der Kathedrale sitzen und um ein paar Cent betteln sah, ein gewisses Maß an Selbstironie und einiges an Langeweile, schließlich ist Leon denn auch nicht sooo groß, vor allem, wenn man sich nicht auskennt, keine guten Informationsquellen hat, kein Geld zur Verfügung hat, geplagt von einem nicht ganz so einfachen Problem ist und eigentlich osfort wieder weiter wandern möchte.
Bei meinen Ausflügen begegneten mir dann aber viele viele Schuhe (ein oder zwei Schuhphotos wird es dann noch in der Galerie https://www.erik-nehring.de/steps/steps.htm geben, ein allererstes aber schon mal hier:
steps

Und natürlich gibt es in Leon auch neben der Geschichte und den daraus stammenden alten schicken pompösen Bauwerken auch ein modernes Leben mit Geschäften und Kram und all dem – und sowieso einer Menge unerfüllter Wünsche (nicht nur meiner ;-)
Träume, unerfüllt

Und damit sei für heute Schluss. Am nächsten Tag ging es genau so weiter ;-)


Strecke: 0 Km
Wetter: fieser Regen-Sonne-Mix aber tendentiell trockener als die Tage davor
allgemeine Befindlichkeit: aufgrund der Situation depressiv

von fremder hand!

eigentlich hätten ja die beiträge über den jakobsweg jeden tag automatisch hochgeladen werden sollen. aber twoday hats einfach nicht getan, obwohl alles richtig eingestellt war. daher habe ich - im auftrag des blogeigners, der gerade im krankenhaus seine zeit verbringt - gerade etwas nachgeholfen.
ich hätte das auch schon am samstag machen wollen / sollen, war aber so blöd den datenspeicher, den er mir gegeben hat, zu verlieren. also erst mit zwei tage verspätung das ganze. sorry für das.
ich werde jetzt auch noch die letzten vorhanden texte hochladen und darauf aufpasen, dass sie auch pünktlich erscheinen. und ich trete dem blogeigner jeden tag auf die füße weiter zu schreiben, auch wenn es im krankenbett nicht so einfach ist, aber egal, er hat ja zeit und den umständen entsprechend geht es ihm ja gut.
samuel

Sonntag, 10. Mai 2009

Jakobsweg - 10.05.2008: Leon

Mit gepacktem Rucksack auf dem Rücken, den Schlüssel der Pension schon abgegeben, zog ich los zu frühstücken und dann mit dem Zug nach Sahagún zurück zu fahren. Da ich fast kein Geld mehr hatte, beschloss ich, gleich genug Bares für die nächsten Tage zu ziehen, wusste ich ja nicht, wo ich landen würde und ob es dort Geldautomaten gäbe (die waren nicht soo häufig in den kleinen Dörfern, wie man erwarten würde). Und siehe da, die Karte funktionierte nicht, der Automat konnte sie nicht lesen, was er mir fröhlich pfeifend mitteilte. "Blöde Maschine, dann eben nicht, gibt noch andere," dachte ich, versuchte es bei seinen Freunden und Kollegen in der ganzen Stadt und erkannte bald, dass die Karte kaputt war.
Automatensuche
(während der Automatensuche war ich ja noch in der Lage, einfach so vor mich hin zu photographieren).

Später lernte ich einen Bankmenschen kennen, der selbst solche Automaten aufgestellt und gewartet hatte, und der erzählte mir, dass die, wenn sie nicht ganz ganz genau skaliert sind, auf dem Magnetsreifen der Karte Chaos machen, indem sie den Teil, der eigentlich als reiner Leseteil gedacht ist, der also nicht beschrieben werden soll, weil er die Grundinformationen enthält, beschreiben und damit die Informationen löschen oder zumindest unlesbar machen. So stand ich also da, hatte noch fünf, sechs Euro, Hunger, ...
Es gab dann doch ein Frühstück (das billigste, das ich auftreiben konnte, ein Kaffee mit einem Stück einer seltsamen Mischform zwischen Brötchen, Kuchen und Schwamm). blieben, soweit ich mich erinnere, 4 Euro übrig, und Morgen wäre Pfingsten und ich Idiot hatte eine Kreditkarte ohne Geheimnummer, konnte sie also nicht benutzen um an Bargeld zu kommen.
Ich überlegte, dass es in Banken vielleicht möglich wäre, mit viel Überzeugungskraft, Kreditkarte, Personalausweis und dem Onlinezugang zu meinem deutschen Konto, das ja reichlich gedeckt war, vielleicht irgendwie an Bares zu kommen, nur waren die Banken am heiligen Pfingstsamstag geschlossen.

Flugs zur Herberge gesaust, dort gäbe es vielleicht jemanden, der mir eine Möglichkeit zeigen könnte, mit der Kreditkarte oder wie auch immer an Bares zu kommen. Dort waren gerade ein paar Kids mit einem Stand, wo sie Brot und Kram verkauften, um für eine Gruppenreise nach Australien Geld zu sammeln - irgendwas Katholisches war wohl letztes Jahr in Australien, wo sie hin wollten.
Und der Hostelero bat sie, mir weiter zu helfen und die beiden riefen flugs Mama und Papa an (der eine Papa ist Banker) und wir liefen da und dorthin in der Stadt, ohne jemanden anzutreffen oder ohne dass die Leute uns helfen konnten - nicht einmal große Hotels waren in der Lage, Geld von der Karte abzubuchen und es dann bar wieder auszuzahlen.
Auf jeden Fall war es total süß, wie die beiden versuchten, dem armen Pilger zu helfen, auch wenn es nichts brachte.
Helferlein

Na gut, bei der Post erfuhr ich immerhin, dass es dort möglich ist, per Western Union Geld anzuweisen, das bar bei einem Postamt irgendwo in der Welt eingezahlt wird - und zwar immerhin von Minuten - nur leider war Pfingstsamstag, alle Leute, die das für mich machen könnten, im Pfingswochenende und auf die Schnelle nicht mehr zu erreichen, also bliebe mir nichts übrig, entweder in Istanbul jemanden mit Bargeld und Montagszeit aufzutreiben oder bis Dienstag auf die Leute in Deutschland zu warten - und die Öffnung der deutschen Postämter - und bis dahin müsste ich die Zeit eben irgendwie überbrücken und mit Kreditkarte bezahlen (das ging in meiner Pension, also hatte ich immerhin ein Zimmer).
Bei der Post fand ich immerhin jenen hier, mit dem güldenen Fußdaumen:
Helferlein
Ich weiß nicht mehr, ob ich versuchte, ihn anzugrabbeln, aber immerhin photographierte ich ihn, vielleicht brächte das ja auch Glück oder Bares oder beides ;-)

Ansonsten lungerte ich den ganzen Tag nur herum, sprach hier und dort mit ein paar Leuten, die ich vom Weg her kannte, traf Paul, den Belgier, der auch einfach nur wartete (seine Freundin würde in ein paar Tagen ankommen, vielleicht morgen, vielleicht übermorgen, der genaue Termin war irgendwie unklar), und schließlich auch Helmut und eine Frau (an die ich mich gerade nicht erinnern kann), als ich beschloss, einfach richtig Essen zu gehen, denn das könnte ich ja mit der Kreditkarte bezahlen, während ich mir billige Kleinigkeiten, die ich ja bar hätte bezahlen müssen, nicht leisten konnte. Und da hatte ich die geniale Idee, für die beiden mitzuzahlen, so dass ich deren Rechnung per Karte zahlte und von den beiden Bargeld bekam - und schwuppdiwupp hatte ich gegessen und 20,- € in bar ;-).

Der Tag ging dann mit Lungern, Leitungswasser und Internetcafe zu Ende - ja, prima, online hatte ich Zugriff auf meine Konten, auf denen damals auch noch genug Geld war, mehr als ich in ein paar Wochen (normalen Urlaubs) in Leon hätte ausgeben können, nur leider hatte ich gerade keine Möglichkeit, dieses Kontogeld in mein Portemonaie zu bekommen, völlig absurd, vor allem wenn ich Luxus wie das Aufladen des Handys locker per Internet gestalten konnte, wo ich auch tausende von Euros von einem Konto auf das andere hätte transferieren können, während ich mir ernsthaft überlegte, ob das Internetcafe nict als vermeidbarer Luxus zu streichen gewesen wäre ...

Wanderstrecke 0 km, durch die Stadt irren eine Menge Kilometerlangen
Wetter: unbeständig, um 15 °C, öfter mal Regen, immer wieder auch mal regenfreie Zeiten
Allgemeine Befindlichkeit: zunehmendes Hineindriften in eine der Situation geschuldete Verzweifelung (was etwas zu heftig klingt, aber depressiven Charakter hatte das schon irgendwie)

Samstag, 9. Mai 2009

Jakobsweg - 09.05.2008: Moratinos => Sahagún => Leon (mit dem Zug)

Jakobsweg - 09.05.2008: Moratinos => Sahagún => Leon (mit dem Zug)

Nach reichlich genug Bier am Abend vorher recht lang geschlafen aber immer noch vor Sabine und Heinz - die dann doch wach waren, als ich von der Morgentoillette zurück kam. Hurtiges Packen, Frühstück und weiter wandern - die anderen ließen sich Zeit, wollten nicht gar zu weit gehen, während ich ja partout eine Kamera einkaufen musste - ohne Kamera fühlte ich mich wirklich nicht richtig wohl.
Ich kam ohne mich heute an die Strecke erinnern zu können, bis nach Sahagún, traf dort Cecile und den jungen Franzosen, dessen Namen ich locker vergessen habe, trank mit ihnen einen Kaffee, suchte die ganze Stadt nach Photogeschäften ab und fand wieder nur Ritschratschklickmaschinen und beschloss, mit dem Zug um 14.00 Uhr nach Leon zu fahren.

Der Plan war, in Leon, das ja nicht ganz so klein ist, einzukaufen, am selben Abend oder am nächsten Tag mit dem Zug zurück zu kommen um dann wieder von Sahagún aus weiter zu wandern, einer kleinen netten Stadt, in der es schon ein paar lohnende Motive gegeben hätte, wie z.B. die alte Iglesia de San Tirso aus dem 12. Jahrhundert und wirklich richtig schick anzuschauen (bei Flickr. z.B. findet man viele Photos aus Sahagún, z.B. auch diese Kirche https://www.flickr.com/photos/7865999@N08/2239510645/ , in Sahagún gibt es Reste eines alten Klosters https://www.flickr.com/photos/7865999@N08/1270178156/ und einen ganz berühmten Bogen mit Straße darunter hindurch - der Bogen ist der Rest eines weiteren Klosters https://www.flickr.com/photos/7865999@N08/1242864014/ ).

Das war der Plan.
Also fuhr ich nach Leon, fand tatsächlich (nachdem ich mir eben noch mal ein wenig Bargeld für die nächsten paar Tage geholt hatte) nach einigen Besuchen in verschiedenen Photoläden im Zentrum, die allesamt spezialisiert waren auf simpelste Ritschratschklicks, mit denen ich mich einfach nicht anfreunden konnte, dann tatsächlich ein Einkaufszentrum, das eine passende Kamera im Angebot hatte, aber dafür ein Schweinegeld wollte, das ich dann auch bezahlte, weil das Limit der Kreditkarte pro Aktion nicht ausreichte teilten wir den Preis, ich zahlte einen Teil mit der Kreditkarte und wollte den anderen Teil mit der Checkkarte zahlen, mit der ich ja eben gerade noch Bargeld geholt hatte - die Karte funktionierte in dem Laden nicht, ich dachte mir nichts dabei, gab dem guten Mann eben das Bargeld, das ich eben geholt hatte.
Glücklich zog ich von dannen und testete das neu erworbene Schätzchen gleich aus:
neue Kamera, allererstes Photo

Nun hatte ich also eine neue Kamera, eine alte, die Morgen per Post nach Santiago ginge und den Plan, morgen mit dem Zug wieder nach Sahagún zu fahren, den Nachmittag dort zu verbringen und dann wieder weiter zu wandern.
Mit der neuen Kamera in Händen und einem Pensionszimmer für eine Nacht zog ich los, um Leon zu erforschen, was nicht ganz so erquicklich war, wie es ohne den Regen gewesen wäre, der immer wieder strömte.
Regen
Natürlich gab es in Leon einiges an historischer Architektur, auch das eine oder andere Museum, aber es war spät geworden und als Pilger hatte ich mich daran gewöhnt, nicht viel länger als Sonnenuntergang wach zu sein, ich verzog mich also mit meiner Kamera, die ich gemütlich erforschte und einem Buch in meinem Zimmer und schlief den Schlaf des erfolgreichen Einkäufers.

Strecke: gewandert ca. 9, Zug ca. 53
Wetter: Morgens warm und sonnig, abends bewölkt und regnerisch.
Allgemeines Befinden: Knien und Schienbeinen ging es besser, mit neuer Kamera wieder zufrieden und wohlgemut.

Freitag, 8. Mai 2009

Jakobsweg - 08.05.2008: Carrión de los Condes => Moratinos

Eigentlich hatte ich ja bis Sahagún wandern wollen, um dort zu schauen, ob ich eine Kamera bekäme oder ob es eine Möglichkeit gäbe, per Bus nach Leon zu fahren, dort eine einzukaufen, wieder zurück zu kommen und am nächsten oder spätestens übernächsten Tag weiter zu wandern.
Dementsprechend wie immer früh (aber nicht vor dem Aufstehen) losgezogen, im Café dann nette Leute getroffen und lange gesessen.
Nach einem Weilchen war ich aber doch gemeinsam mit Cecile aufgebrochen, und wir hatte das erste 16 Kilometer lange Teilstück in Angriff genommen, jenes Stück, wo es weder Wasserstelle noch Bar noch sonst irgend etwas gäbe. Cecile traf dann auf einen jungen Franzosen, der nach wie vor an schrecklichen Blasen litt. Sie half ihm, indem sie die Blasen mit Nadel und Faden aufstoch - was ich mir dann ganz und gar nicht anschauen konnte, ich bot zwar meine Hilfe an, war aber froh, dass die nicht gebraucht wurde und ich weiter gehen konnte, beim kurzen Blick auf die Blasen des guten Jungen und das, was Cecile an wie auch immer gefärbter Flüssigkeit daraus holte, wäre ich fast umgekippt.
Ich wanderte also weiter und freute mich, dass ich nach etwa vier Stunden auf ein Dorf käme, wo es sicher eine Bar gäbe, als ich einen Tisch am Straßenrand wahrnahm, wo ein Mann ein paar Thermoskannen mit Wasser und allem Zubehör für löslichen Kaffee oder Tee aufgebaut hatte - einfach nur toll und gern angenommen (sogar Kekse hatte er). Geld wollte er keines, also musste ich meinen Rucksack, der noch auf dem Rücken war, nciht auspacken sondern konnte es mir erst einmal auf der Wiese auf der anderen Straßenseite bequem machen. Dort lernte ich ein nettes Paar aus Irland kennen, wie die meisten wieder älter als ich, aber einfach nett. Viele Leute kamen vorbei, die meisten tranken einen Kaffee oder einen Tee, auch nur Wasser, und alle hinterließen dem guten Mann eine Spende (um die er nicht einmal gebeten hatte), ich auch und mangels Kleingeld bekam er mit einem € mehr, als ich in der nächsten Bar für einen richtigen Kaffee mit aufgeschäumter Milch bezahlte - ich kann mir gut vorstellen, dass er so an Spenden mehr einnahm, als er bekommen hätte, wenn er offiziell Getränke verkaufte - aber egal, um's Geld ging's nicht, es war einfach nur schön, dort entgegen der Erwartung, doch eine Raststelle und ein Getränk zu finden.
Im nächsten Dorf dann eine Bar, die reichlich gut besucht war - und da trafen mich auch die tiefen Blicke von Sabine, die ich vielleicht vorher schon gesehen haben mochte, die ich aber nie bewusst wahrgenommen hatte. Ich beendete meine Pause und zog weiter, allein, im Wahnsinstempo, schließlich wollte ich noch einiges schaffen an dem Tag. Und ja, ich kam Sabine und dem guten Mann, mit dem sie gerade wanderte, immer näher, überholte schließlich auch und wunderte mich wieder über ihre Blicke, aber sauste davon, da ich ja doch noch viel weiter wollte und die beiden eindeutig zu langsam waren.
In Moratinos, 9 Km vor Sahagún drohte allerdings ein heftig dunkles Gewitter auszubrechen, fiese schwarze Wolken hatten sich zusammen gezogen und es donnerte und grollte recht grauselig, also kehrte ich in der Herberge ein, die auch eine Bar betrieb. Dort traf ich einen Bekannten (wen ich dort traf, schrieb ich nicht auf, das war damals nicht nötig, die Erinnerung sehr frisch und im Juli hätte ich mich sicher noch prima erinnern können, wenn ich mich an meinen geplanten Text über den Weg gemacht hätte, bisher hatte ich mich immer auf mein Gedächtnis verlassen können, zumindest wenn nur so kurze Zeit zwischen Erleben und Auswerten liegen würde, heute weiß ich, dass es jemand war, mit dem ich schon gemeinsam gefrühstückt oder zu Abend gegessen hatte, dass er sehr nett war und dass es sich ansonsten noch nicht ergeben hatte, wirklich längere Zeit miteinander zu verbringen. Ich beschloss also, ein Bier mit ihm zu trinken und das Gewitter abzuwarten - nachdem das Wetter aber immer bedrohlicher wurde, blieb ich dann doch (ja, inzwischen waren Sabine und Bob auch angekommen, hatten in der selben Herberge eingecheckt und durch Zufall fand ich dann ein Bett im selben Zimmer wie Sabine und bis spät abends sah es so aus, als wären wir die einzigen Gäste in dem Zimmer ;-).
Es bildete sich eine nette Gruppe mit Tom, Heinz, dem anderen Heinz, Bob, Sabine und mir - inclusive einer langen Diskussion um Glauben und philosophische Fragen, in der ich den negativen Rationalisten spielte, den, der alles Positive aus rationalen Gründen nicht akzeptiert, und es machte viel Spaß, mit Bob zu diskutieren, der wirklich sehr interessante Ideen und Argumente hatte, auf die ich aber auch immer wieder kontern konnte (aufgeschrieben habe ich mir, dass ich jene Rolle einnahm, worum es ging habe ich nicht geschrieben, erinnere ich leider auch nicht, aber ich weiß, dass es ein Gespräch hauptsächlich zwischen mir und Bob war, sehr philosophisch und gleichzeitig auch lustig, dass die anderen aber auch dabei waren und sich niemand langweilte oder so. Und ich weiß, dass wir alle nicht gerade wenig tranken und dass es zusehends kühler wurde.
Sabine und ich entschieden zur gleichen Zeit, ins Bett zu gehen, und als wir dann tatsächlich brav in einem Zimmer in unseren Betten lagen, ergab es sich, dass sie eine Gutenachtgeschichte erzählen musste - ich weiß nicht mehr, warum, aber ich weiß, dass der andere Heinz, als er dann auch noch in unser Zimmer kam, irgendwie störte.

Strecke: ca. 29 Km durch sanft gewellte Landschaft mit Höhenunterschieden von insgesamt höchstens 60 Metern
Wetter: zunächst heiß, windstill, sonnig, zunehmend bewölkt, starkes, wenn auch nur kurzes Gewitter am Nachmittag, dann Wetterberuhigung
allgemeine Befindlichkeit: gut, Knie und Schienbeine waren zwar noch zu spüren, aber nicht mehr schlimm.
Besonderes: Morgens noch S. Geburtstag erinnert, später dann vergessen und schändlicherweise nicht angerufen!!
also erinnert mich an S.., wenn ihr das hier lest und später die Möglichkeit habt, mich wirkungsvoll zu erinnern, habe ich doch voriges Jahr tatächlich auch meinen eigenen Geburtstag vergessen und dieses Jahr schon den einen und anderen ... ;-)

Donnerstag, 7. Mai 2009

Jakobsweg - 07.05.2008: Fromista => Carrión de los Condes

In der Herberge war ich wie immer recht früh aufgewacht, war aber wacker im Bett geblieben, weil ich auf das Frühstück warten wollte, das erst zu einer bestimmten Zeit beginnen würde (ich weiß jetzt nicht mehr, wie spät). Dort ließ ich mir dann wieder besonders viel Zeit - in mein Heft hatte ich dann abends geschrieben, dass es wohl offensichtlich Leute gab, die ich nicht mochte und diese erst von dannen ziehen lassen wollte, heute kann ich mich an besonders Vorfälle nicht erinnern, aber was meine Reaktionen auf Unsympathlinge angeht, kann ich mir das sehr gut vorstellen, sobald mir jemand als unsympathisch auffällt (und das waren auf dem Weg dann doch einige, und der Weg gab mir nicht die Ruhe oder Demut, da irgendwann anders zu reagieren), versuche ich, möglichst weit weg zu sein, auch wenn das heißt, dass ich eine viertel Stunde länger frühstücke, nur um der Person nicht auf dem Weg zu begegnen.
Irgendwann war ich dann aber doch unterwegs und fand am Ortsausgang genau die Baustelle, die die beiden Neuseeländer vorhergesagt hatten - ein gigantischer Straßenneubau, LKW allüberall, Raupen, Bagger, Staub, Bauzäune, Baugruben, Schlammlöcher, Fußwege, die geradewegs in tiefe Löcher führten, Wegweiser, die in den Untergrund gewalzt waren, in das Erdinnere wiesen oder in andere sinnentleerte Fernen ...
Tatsächlich gab es keine Schilder, keine gelben Pfeile und keinen wie auch immer zu ahnenden Fußweg durch das Baustellenchaos, geschweige denn eine Unterführung, die die Etappenbeschreibung aus meinem klugen Buch versprochen hatte. Ich ahnte die ungefähre Richtung, in die es gehen müsste, Westen eben, die Sonne müsste mir im Rücken stehen und der Weg müsste senkrecht zur Schnellstraße, an der hier offensichtlich gebaut wurde, weiter führen - und von einer Halde aus konnte ich dann auch in einiger Entfernung einen Weg sehen, der Feldwegartig in die ferne führte, aber zuvor galt es, das Gewirr aus Pisten, Löchern, aufgerissener Erde, Halden, tiefer Gräben usw. zu überqueren, wo dann teilweise auch aktuelle Bauarbeiten geschahen, Baustellen-LKW vorbei donnerten, Raupen hin und her schoben und man sich im Gewirr verlieren konnte. Auf dem Weg, den ich für vielversprechend hielt, kam mir eine einzelne Gestalt gefolgt von einer Gruppe entgegen, bedeutete mir, dass der von mir eingeschlagene Weg nicht der richtige sei und schwenkte zur Seite ab - brav folgte ich (über wirklich übel zerstörte Oberflächen, dann über die Trasse der zukünftigen Schnellstraße, ab einer riesigen Halde vorbei nur um wieder eine neue Trasse überqueren zu müssen, wozu wir vorher durch einen Graben mussten, der alledings voller Wasser war - nach einigem Suchen fand sich dann doch eine Stelle, wo der Graben zu überwinden war und zwischendurch waren wir uns so nahe gekommen, dass ein Gespräch möglich war: auf dem anderen Weg sei ein Weiterkommen nicht möglich gewesen, das hätten sie ausprobiert, sagte sie mir, es müsse hier entlang gehen. Ich erwiederte, dass ich ihr dann brav folgen würde, wie sich das ja für ein Schaf gehöre, seien wir doch alle Schafe, die den gelben Pfeilen folgten und sie müsse mir nun meine gelben Pfeile ersetzen, nachdem sie den anderen Weg schon ausprobiert habe und der nicht nach Santiago führe. Sie entgegnete, sie sei aber vielleicht der Wolf und ich laufe Gefahr, gefressen zu werden, wenn ich ihr folge. Nun gut, dann sei dem eben so, das Leben sei gefährlich und ich müsse mich diesem wohl oder übel ausliefern, hätte ich doch keine Lust, mich hier zu verirren und erwecke sie den Eindruck, einen Fehler schon gemacht und daraus gelernt zu haben, den ich vermeiden könne, wenn ich darauf vertraue, dass sie mich nicht belüge, ...
Nun gut, ich kam nicht in die Sackgasse, aus der sie zurückgekehrt war, und wir fanden dann mehr oder weniger gemeinsam einen Ausweg aus dem Chaos, vielleicht nicht den besten Weg, vielleicht auch nicht die offizielle Version, aber irgendwann kamen wir doch auf den von weitem erahnten Weg und fanden auch die ersten echten Wegweiser
Wegweiser
(das Photo ist am Vortag entstanden, ein sehr sehr ähnliches habe ich aber wirklich an jenem Morgen an genau jenem Weg gemacht, nur war auf dem Stein ein mit Klebeband zusammengehaltener Wanderschuh und der Stein an sich etwas neuer).
Mit dem Wolf (Cecile) zusammen zog ich armes Schaf dann weiter, wir wanderten einfach gemeinsam, unterhielten uns lange Zeit, schwiegen auch mal, sie wartete immer wieder, wenn ich photographierte, ich wartete, als sie mal ins Gebüsch verschwand, es war ein Weg ohne besondere Höhepunkte. Er folgte den größten Teil der Strecke einer Straße (die zwar nicht zu stark befahren war, aber auf der trotzdem immer wieder Autos lautstark und viel zu schnell vorbei donnerten), und es gab nur wenig Abwechslung - da war es sehr angenehm, nicht allein zu wandern, sondern nette Gesellschaft zu haben.
Viel gab es nicht zu photographieren (auf meiner Festplatte habe ich ein paar Blümchen gefunden, langweilige Landschaft, wieder mal eine Kirche, einen völlig misslungenen Raben, dessen Flug ich versuchte einzufangen, noch eine Kirche), und noch weniger Photos, die sich anzuschauen lohnen.
Highlight

Die relativ kurze Etappe beendeten wir in Carrión de los Condes nach nur 19 Kilometern, denn von dort aus wären bis zum nächsten Dorf 16 Kilometer ohne Einkehrmöglichkeit zu wandern, bis zur nächsten Herberge wäre es wesentlich weiter, so dass eine Gesamtstrecke von über 40 Km zurückzulegen wäre - und dazu hatte ich dann ganz und gar keine Lust.
Wir fanden ein Quartier im Kloster, wo uns der Unteroffizier - von mir so benannt wegen seines zackigen Stils, in Wirklichkeit wohl Novize oder gar nur ziviler Angestellter, uns unsere Schlafplätze anwies und wir uns fühlten, als müssten wir salutieren (und diesmal waren ausnahmsweise am Abend alle Betten belegt - aber es gab noch mehrere andere Herbergen und dort angeblich auch freie Betten).
In der Herberge trafen wir San, die sich vorstellte mit "Hi I'm San from South Africa and I'm white", nachdem sie wohl immer wieder Verwunderung geerntet hatte als weiße Südafrikanerin (zudem auch noch nett), .... Cecile und San kannten sich schon und freuten sich, sich zu sehen, gleichzeitig hatten wir alle vom Unteroffizier seltsame Einweg-Bettbezüge bekommen, mit denen wir jetzt hantierten, ich mit dem Bett beschäftigt, San eher damit, aus Cecile eine Braut zu machen und den entsprechenden Hochzeitsmarsch anzustimmen - lustig war's und gehörte photographiert.
Braut

Es war lustig, aber es war nicht übertrieben laut, normale Zimmerlautstärke eben und 14.20 Uhr, eine Zeit also, wo man vielleicht auf kleine Kinder Rücksicht nehmen muss, die ihren Mittagsschlaf brauchen, wenn sie im selben Zimmer schlafen müssen, aber ganz sicher keine Zeit, wo man in einer Herberge am Jakobsweg absolute Nachtruhe halten muss.
Aber nein, eine ziemlich eklige Ziege (an alle vierbeinigen Ziegen schon mal eine Entschuldigung, dass ich euch mit diesem Wesen gleich setze, aber mir fehlt es einfach an Wörtern), natürlich deutschsprachig, wie sich später herausstellte, fing an, die beiden anzukeifen - ich denke mal, sie war lauter als unser Lachen und Sans Gesang. Aber die arme Ziege, die vermutlich schon um 4 Uhr hatte aufstehen müssen, weil man sonst ja die anderen nicht nerven kann, wollte eben ihren Mittagsschlaf halten, und da störte jedes kleine menschliche Geräusch.
Nun, sie schrie und heulte vor sich hin und entsetzt gingen wir hinaus, liehen uns die Wäscheschüssel aus und machten es uns gemütlich, zwar heftig verärgert über diese Ziege, die nicht in der Lage war, in normalen Tonfall um Ruhe zu bitten, was jeder verstanden hätte, sondern eben gleich den guten deutschen Kasernenbrüllaffenton herauskehrte oder den der Latrine vielleicht. Bestärkt wurden wir dann noch von einer Frau, die auch im Zimmer gewesen war, die wir gar nicht wahrgenommen hatten: sie kam hinaus und schloss sich unserem Entsetzen an - und unserer fröhlichen Fußbaderunde :-)
Bad

(und von der Latrinenbrüllerin würden wir noch hören, tief in der Nacht, nach 22.00, weit nach der offiziellen Ruhezeit von 21.30 Uhr an, als sie mit ihren Kumpanen angeschickert aus der Bar kam und, genauso wie die drei anderen, natürlich heftig taschenbelampt herumwerkelte, lärmte, mit kaum gesenkter Lautstärke, weit lauter als Flüstern sich mit den Kumpanen unterhielt. Später in der Nacht wachte ich nicht vom Schnarchen der Kanadierin auf, die im Bett unter Cecile schlief, sondern davon, dass wieder genau jene Deutschländerin jammerte ob des Schnarchens, wieder nicht flüsternd sondern durchaus stimmhaft und das mehrmals. Schließlich war sie es wieder, die zusammen mit ihrem Mitpack wiederrum lärmend und taschenlampend lange vor dem Hellwerden aufstand und mindestens 10 Minuten lärmte und leuchtete, ehe die Gruppe den Schlafraum verließ, uns in Ruhe schlafen und die Kanadierin in Ruhe schnarchen ließ - und ja, das Schnarchen war nicht toll, aber mich störte es sicher viel weniger als die lauthalse Aufregung darüber, die es nicht änderte und die bewusst formuliert wurde also hätte verhindert werden können.
Hätte ich diese Person noch einmal gesehen, ich bin mir sicher, ich hätte sie an ihr Verhalten erinnert und ich bin mir sicher, ich wäre nicht nett und höflich gewesen, aber gleichzeitig weiß ich auch, dass ich gar nicht so tief in die verbale Kläranlage hätte greifen können, um diesem Stück selbstgerechter "christlicher Pilgerheiliger" gerecht zu werden - und nein, es mögen vielleicht alle, die den Weg gehen, Pilger genannt werden, aber zu guten Menschen macht der Weg solche Gestalten ganz sicher nicht, sie bleiben in ihrer kleinkarierten dünnen Haut die schlechten Menschen, die sie auch vorher waren, vielleicht in den eigenen Augen zwar gute Christen, wahrscheinlich sogar, wenn ich meinen Vorurteilen glaube, aber mehr auch nicht.

Na, egal. Das Fußbad und das gemeinsame Reden und Entsetzen taten gut, wir trennten uns, ich ging in die Stadt, um vielleicht irgendwo meine Photos gespeichert zu bekommen, weil der Platz auf dem Chip immer weniger wurde. Das Internetcafe war geschlossen und der örtliche Photograph völlig ahnungslos: er hatte noch nie eine so große Speicherkarte gesehen, schaffte es dann aber doch innerhalb einer halben Stunde die ersten hundert von 1500 Bildern zu finden und auf meine kleine Festplatte zu kopieren, die er ehrfurchtvoll betrachtet hatte, nachdem er realisierte, dass das kleine Kästchen wirklich eine Festplatte war (ich gebe zu, ich war genauso erstaunt gewesen, als ich damals eine scheckkartengroße, 9 mm dicke Festplatte gefunden hatte, die 120 Gigabite speichern konnte ;-). Ich musste also irgendwo anders einen Computer finden, an dem ich meine Photos übertragen könnte, hier war ich offensichtlich fehl am Platz.
Ich schaute mich noch im Dorf um und machte an unserem Kloster das allerletzte Photo mit meiner guten alten 20 D, die danach irgendwie einen Schaden hatte: sobald sie Strom bekam, zuckte der Verschluss lauthals vor sich hin, egal, was man machte, sie hatte mindestens einen heftigen Hirnschlag bekommen, wenn nicht mehr (und ich probierte alles aus, ausschalten, irgendwelche Knöpfe beim Start drücken, schimpfen und fluchen, streicheln, Batterie herausnehmen, unangeschaltet die Batterie wieder hineinschieben, angeschaltet die Batterie wieder hereinschieben, beim Batterie hineinschieben irgendwelche Knöpfe drücken, die Minibatterie hinaus basteln, die zuständig ist dafür, dass die Kamera weiß, dass sie eine Kamera ist und wie spät es ist, egal was ich tat, die gute konnte nicht mehr denken und ich war verzweifelt.
Und hier ist es, das allerletzte Bild meiner 20 D, ehe ich sie dann Monate später daheim in Istanbul wieder reparieren ließ (was "nur" 120 Euro kostete, wenn ich mich richtig erinnere):
Henkersbild

Natürlich sauste ich sofort zurück zu dem Photoladen, um zu schauen, was der wohl im Verkauf hätte, dass er mir anders nicht helfen könnte, war mir reichlich klar. Der Laden hatte zwar schon geschlossen, hätte mir aber höchstens eine Ritschratschklick anbieten können, die vielleicht in den Händen eines guten Photographen gute Photos produzieren könnte, mit der ich aber nichts hätte anfangen können.
Also hoffte ich auf den nächsten Tag und die nächste Etappe, Sahagún, ein etwas größeres Städtchen, wo es vielleicht einen besser ausgestatteten Photoladen gäbe.
Es gab dann noch mal ein Abendessen aus der Tüte und die oben schon beschriebene Nacht mit ihren Störungen.

Strecke: sage und schreibe 19 Km, flach, immer an der Straße entlang.
Wetter: Warm, windig, gegen Abend immer stärker bewölkt, Gewitter.
Allgemeines Befinden: Schienbeine schmerzten noch, Knie kaum, Kamerakaputtfrust

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